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Biologischen Besonderheiten der Bäume - eine erfolgreiche Kombination


Mit diesem Text aus Steinbachs Naturführer "Bäume" soll nachfolgend ein Überblick zum äußerst komplizierten und umfangreichen Gebiet der Baumbotanik gegeben werden.
Wir haben jenen Text gewählt, weil er nach unserer Meinung in allgemeinverständlicher Form Grundzüge der Gehölzbotanik darstellt, ohne dabei an der fachlichen Aussage Abstriche zu machen.
Erst wenn es uns endlich gelingt, einen jeden von dieser gedanklichen Einheit zwischen dem Baumes bzw. Gehölz oder sonstiger Pflanze und dem Begriff eines eigentlich unverzichtbaren Lebewesens und Individuums in einer immer fragiler werdenden Umwelt zu überzeugen, erst dann wird unsere Umwelt wieder eine gesicherte Zukunft haben.

Bäume als Lebewesen

Es gibt auf der Erde keine größeren und auch keine eindrucksvolleren Lebewesen als die zahlreichen Baumarten, die große Teile des Festlandes prägen.
Wie die Kräuter und Sträucher, beginnen auch die höchsten Bäume ihr Leben zunächst als winzige, nur mit einer geringen Überlebenschance ausgestattete Sämlinge. Mit dem Heranwachsen erweisen sie sich an geeigneten Standorten jedoch allen übrigen Blütenpflanzen der Erdoberfläche überlegen.
Das verdanken sie vor allem drei biologischen Besonderheiten, die so nur bei Bäumen zusammentreffen: dem Höhenwachstum, der Ausbildung eines überaus standfesten Vegetatianskörpers und einer die meisten anderen Lebewesen übertreffenden Langlebigkeit. Für die weite Verbreitung in der langen Entwicklungsgeschichte der Bäume erwies sich diese Kombination als besonders erfolgreich.
Bäume können erstaunlich hoch hinaus. Es gibt kleine Bäume von arttypisch niedrigem Wuchs, daneben auch eine breite Palette zwergwüchsiger Zier- und Gartenformen, doch sind viele Baumarten in der Lage, Individuen von 30-50 m Wuchshöhe hervorzubringen. Bei manchen Arten stellen solche Abmessungen eher einen Durchschnitt, aber noch keine Obergrenze.

Die in Kalifornien beheimateten Mammutbäume erreichen Wuchshöhen von über 100 m. Absoluter Rekordhalter unter den bisher vermessenen Bäumen ist ein (heute nicht mehr stehender) Riesen-Mammutbaum von 135 m Höhe. Diese Nadelbaumart stellt alles übrige pflanzliche und tierische Leben buchstäblich in den Schatten. Sie wird auch wesentlich höher als die hochwüchsigsten Laubgehölze der Erde, die in Australien beheimateten Eukalyptusbäume, die es auf Höhen um 100 m bringen und damit etwa so hoch sind, wie ein Fußballfeld lang ist.
Bäume, deren Höhe man im Zehnmetermaßstab angeben kann, besitzen gewöhnlich auch eine prächtig entwickelte Krone und ein entsprechend großflächiges Blattwerk. Dessen Flächensumme kann bei einem mittelgroßen Baum bereits einige hundert Quadratmeter betragen. Bäume betreiben damit wie kaum ein anderes Lebewesen Oberflächenvergrößerung nach außen.
Die grünen Blätter eines Baums, gleichgültig ob als Nadelblätter oder als flächiges Laub entwickelt, sind so etwas wie eine Antenne, die gegen das Sonnenlicht gerichtet wird, um daraus bestimmte Anteile zu empfangen und aufzunehmen. Die Energie der aufgenommenen Strahlung wird im Blatt dazu benutzt, um in einem Prozeß vieler Teilschritte aus den beiden anorganischen Grundstoffen Kohlendioxid und Wasser hochmolekulare, energiereiche, organische Verbindungen aufzubauen.
Dieser Teil des pflanzlichen Stoffwechsels wird unter dem Begriff Photosynthese zusammengefaßt. Nur durch die pflanzliche Stoffwechselleistung der Photosynthese kann physikalische Energie der Sonnenstrahlung in die chemisch gebundene Energie von Zucker und verwandten organischen Stoffen umgewandelt werden. Diese Nährstoffe stellen die Bäume in ihren zahllosen kleinen Nadelblättern oder flächig ausgebreiteten Laubblättern im Licht zunächst als eigene Bau- und Betriebsstoffe her. Doch kommen sie auch anderen Lebewesen als Nahrung zugute.

Vom Stoffwechsel her unterscheiden sich Bäume nicht grundsätzlich von den übrigen grünen Pflanzen mit ihrer Fähigkeit zur Photosynthese. In einer bedeutenden Einzelheit weichen die Gehölze von den meisten übrigen grünen Pflanzen ab: Diese geben in unserem Klima am Ende der Vegetationsperiode im Herbst zumindest ihre oberirdischen Teile auf oder sterben auch vollständig ab. Sie überdauern die ungünstige Jahreszeit in Farm von Samen oder rnit Knollen, Zwiebeln und Wurzelstöcken in der Erde. Was im Lauf eines Sommers an Zuwachsleistung erbracht wurde, geht durch den herbstlichen Abbau dem Pflanzenindividuum weitgehend wieder verloren. Bäume dagegen legen ihre Produktion in Form von Stämmen, Ästen, Zweigen )und natürlich auch kräftigen Wurzeln) fest. Obwohl die meisten Baumarten wie auch die Sträucher vom Frühjahr bis zum Herbst anteilig vergleichbar viel Zuwachsleistung erbringen wie die mehrjährigen Stauden und die einjährigen Kräuter, und von deren Rekordhaltern wie der Sonnenblume oder der Maispflanze sogar deutlich übertroffen werden, bleibt die zugewachsene Pflanzenmasse in ihrem Holzkörper zunächst einmal erhalten. Kommt nach der winterbedingten Ruhepause die Entwicklung im nachfolgenden Frühjahr erneut in Gang, kann der neue Zuwachs an der im Vorjahr gebildeten Pflanzenmasse fortgesetzt werden. Dadurch verlängern sich Äste und Zweige in jeder Vegetationsperiode um den Betrag des jeweiligen Jahrestriebs.

In dieser Hinsicht unterscheiden sich die Bäume von den Sträuchern; beide sind Vertreter der Holzpflanzen. Das Längenwachstum wird bei Bäumen überwiegend oder ausschließlich von den Gipfelknospen und den Knospen an den oberen Seitentrieben übernommen, während die tiefer am Baum sitzenden Knospen in der Entfaltung merklich gebremst oder sogar am Austrieb gehindert werden. Bei den Sträuchern ist es eher umgekehrt. Hier werden in erster Linie die nahe am Boden sitzenden Knospen gefördert, während die höher sitzenden nur verzögert, wenn überhaupt, in die Länge wachsen. Die Unterschiede im Wachstum der Erneuerungsknospen führen schon nach kurzer Zeit zu deutlich verschieden aufgebauten Sproßsystemen: beim Baum zu einem aufsteigenden Stamm mit artgemäß ausgebildeter Krone, beim Strauch zu einem meist vom Boden ab schon reich verzweigten Aufbau.
Bäume sind "Gewächse" im umfassenden Sinn, die sich in jedem Lebensjahr ein wenig vergrößern. Die erreichbaren Zuwachsleistungen lassen mit zunehmendem Alter jedoch merklich nach.
Alle einheimischen Bäume wachsen bei guter Besonnung besser als bei Beschattung. Man unterscheidet Lichthölzer, zum Beispiel Bergahorn und Lärche, die für ihre artgerechte Entfaltung einen lichten Stand mit Besonnung benötigen, und Schatthölzer, die auch im Waldesschatten noch gut gedeihen, zum Beispiel Rotbuche und Weißtanne. Unter einem dicht geschlossenen Kronendach verringert sich die Photosyntheseleistung aller Baumarten. Bei fortschreitendem Lichtmangel ist eine positive Stoffbilanz schließlich nicht mehr möglich. Hier werden denn keine Blätter oder Nadeln mehr angelegt, die vorhandenen sterben ab, der Stamm verkahlt in seinem unteren Teil. Eng gepflanzte, gleichaltrige Fichten wachsen schnelI in die Höhe, weil sie nach dem Bestandsschluß durch ihre Äste nur noch im lichteten Wipfelbereich assimilieren können, während die unteren und später auch die mittleren Äste absterben.

Um über einer Grundfläche möglichst viele Blätter zur Erzeugung ihrer organischen Nährstoffe entfalten zu können, steht den Bäumen ein in der Natur einzigartiges Material zur Verfügung: der aus dreidimensional vernetzten Molekülen aufgebaute Holzstoff Lignin. Er stellt eine bemerkenswerte Entwicklung der Gehölze dar und bildet die Voraussetzung zur Eroberung festländischer Standorte durch die Pflanzen. Seine günstigen mechanischen Eigenschaften, wie Zug- und Druckfestigkeit bei hoher Elastizität, geringes Gewicht sowie seine Eignung zu spanabhebender Bearbeitung, gute Isolierfähigkeit und Atmungsaktivität, machen Holz zu einem seit Jahrtausenden geschätzten Werkstoff. Er ist auch in unserer Ära der Kunststoffe für viele Zwecke durch nichts zu ersetzen.
Die Baumkrone zeigt eindrucksvoll, wie mit einem Minimum an Material weit ausladende und tragfähige, auch gröberen Witterungseinflüssen standhaltende Konstruktionen erreicht werden - ein Ziel, das der Bautechnik oft mit ganz ähnlichen Konstruktionsprinzipien, meist aber unter Verwendung von mehr und vielerlei Material verfolgt wird.
Im Kronenbereich der Bäume lassen sich bestimmte, für jede Baumart kennzeichnende Abweichungen vom Grundmuster "Baumkrone" erkennen, aus denen die Artzugehörigkeit auch im unbelaubten Zustand spricht. Eine Eiche läßt sich noch aus einiger Entfernung eindeutig von einer Esche unterscheiden. Selbst bei nahe verwandten Arten wie der Stiel-Eiche und der Trauben-Eiche zeigen sich geringfügige, aber gut wahrnehmbare und für die Art typische Unterschiede, die eine eindeutige Zuordnung auch im Winter allein aufgrund der Kronenarchitektur erlauben.
Darüber hinaus entwickelt jeder Baum in Kronenaufbau und Verzweigung eigene Züge.

Im Rahmen seines genetisch festgelegten Bauplans der die artkonstanten Merkmale festhält, kann der einzelne Baum in gewissem Umfang plastisch auf Standorteinflüsse reagieren und seine in ihren Einzelheiten jeweils einmalige Gestalt ausprägen. Ein Ahorn etwa sieht an der Baumgrenze im Hochgebirge anders aus als im Flachland.
Zu den zwei Organisationsmerkmalen, der Hochwüchsigkeit der meisten Baumarten sowie der Ausbildung eines kräftig bewurzelten, tragfähigen Stamms, der die statische Voraussetzung für die Entwicklung einer raumfüllenden Krone schafft, tritt das dritte gemeinsame Merkmal der Bäume: Langlebigkeit. Zwischen der Wüchsigkeit einer Baumart und ihrer Lebenserwartung besteht eine einfache Beziehung. Als Faustregel mit Einschränkungen und Ausnahmen gilt, daß raschwüchsige Gehölze kein sehr hohes Alter erreichen, nämlich nur einige Jahrzehnte oder vielleicht ein Jahrhundert alt werden. Birken und Erlen, die auf Rohböden bald die krautige Vegetation ablösen und den Bewuchs mit dauerhafteren Gehölzen einleiten, sind ziemlich rasch wachsende Bäume. Pappeln erreichen schneller als andere Baumarten beträchtliche Wuchshöhen. Nach einigen Jahrzehnten intensiver Holzproduktion läßt die Wachstumsgeschwindigkeit dieser Baumarten jedoch erheblich nach. Später verliert die Krone durch Astbruch ihre typische Gestalt, und der Baum geht infolge Überalterung allmählich in Zerfall über, bis ihn ein kräftiger Sturm vielleicht vollends hinstreckt und zerstört.
Ein Jahrhundert ist für Birken, Pappeln, Erlen und Weiden eine durchschnittliche Lebensspanne. Andere Baumarten entwickeln sich etwas bedächtiger, sind dafür auf Dauer auch konkurrenzstärker als Birke oder Pappel und erreichen ein höheres Alter. Buchen und Fichten bringen es auf 200-300 Jahre.

Von den einheimischen Laubbäumen werden Linde und Eiche unter Naturbedingungen am ältesten: ein Lebensalter von einem halben Jahrtausend und mehr wäre keine Seltenheit, wenn die Bäume nicht vorher gefällt würden. Deutschlands ältester Laubbaum ist die berühmte Feme-Eiche bei Bocholt im nördlichen Münsterland, die auf rund 1300 Jahre geschätzt wird. Aber auch dieses beachtliche Alter kann noch übertroffen werden.
Als besonders langlebig erwiesen sich vielfach die Nadelhölzer. Von den einheimischen Arten wächst die Eibe besonders langsam. Innerhalb eines Menschenalters läßt sie nur wenig Zuwachs erkennen, kann aber über 2000 Jahre alt werden. Für so alt hält man zwei Eiben, die im Allgäuer Voralpenland stehen. Als Europas ältester Baum gilt die berühmte Eibe von Fortingall in Schottland, die nahezu 3000 Jahre alt sein soll. Messungen an den herrlichen Beständen des Riesen-Mammutbaums in der kalifornischen Sierra Nevada ergaben für einzelne der dickstämmigen Giganten ein Alter von über 3000 Jahren. Aus Zählungen der Jahresringe an gefällten Exemplaren sind Altersbestimmungen auf über 2000 Jahre durchaus zuverlässig dokumentiert, wenngleich die meisten der heute unter Natur- und Denkmalschutz stehenden Exemplare kaum älter als rund 1500 Jahre sind. Als die ältesten heute noch stehenden Mammutbäume aus dem Samen keimten, ging in Mitteleuropa gerade die Bronzezeit zu Ende.
Die ältesten, noch lebenden Bäume der Erde sind krüppelige und verwachsen wirkende Grannen-Kiefern. Sie verdanken ihr Alter von über 4 Jahrtausenden (nachgewiesenes Höchstalter 4700 Jahre) möglicherweise der Tatsache, daß sie an ihrem Hochgebirgsstandort in der Sierra Nevada die längste Zeit des Jahres vereist bei Tiefkühltemperaturen zubringen müssen.


Quelle:

"Bäume"
Steinbachs Naturführer
250 europäische Arten auf 472 Farbfotos und über 200 Zeichnungen
ISBN: 3-576-10554-9

Beratung:
Dipl.-lng. Andreas Bärtels
Vorstandsmitglied der Deutschen Dendrologischen
Gesellschaft und ehemaliger Technischer Leiter des
Forstbotanischen Gartens der Universität Göttingen

Prof. Alfred Feßler
Professor und Dekan der Fachhochschule Weihenstephan

Dr. Jürke Grau
Professor am Institut für Systematische Botanik der Universität München

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