gehoelze
 
   
Epheu


von August Thieme

• 26.02.1780 — † 13.07.1860

Werke u.a.
o 1849 Gedichte
o 1850 Neue Gedichte





Der Epheu

I

Wenn nun der Epheu wieder sucht das schlanke
Spontongeblätter um die Wand zu schlingen,
In jeden Riß die Kletterfüßchen dringen,
Zu decken Erkerturm und Söllerflanke;

Den alten Baum, ob auch sein Stamm schon wanke,
Noch dankbar aufrecht hält mit seinen Ringen,
Und alles Sterbende sucht zu verjüngen
Mit seinem immergrünenden Geranke;

Wenn, wo auch Altes ist im Land gefunden,
Wir's neu umsponnen sehn mit Epheustricken:
Ist's nicht in solchen schönen Frühlingsstunden,

Als sah'n wir Zeit an Zeit zusammenrücken
- Zu teurer Wahrheit inniglich verbunden -
Der Liebe Einheitsband für Herzensbrücken?

II

Die Ranken, die sich um Ruinen schlagen,
Die Sterbendes erhalten schön und mild,
Sie sind des immer heiter'n Märchens Bild,
Sie sind des Herzens gold'ne Zaubersagen!

Sie sind's allein, die die Geschichte tragen,
Sind für Vergessenheit das Wappenschild,
Die grelle Wahrheit, lieblich eingehüllt,
Wie grauser Tod in Philomeles Klagen!

Sie nur verewigen das Vaterland,
Sie sind die Kunst des Volkes - im Sagenliede,
Die das Versunkene ihm hält bekannt!

Wo irgend noch umsponnen Epheublüte
Ein Steinchen von Kyffhusens alter Wand,
Da klingt vom Kaiser Rotbart auch die Mythe!


Quelle:

"Tief im Schoße des Kyffhäusers"
Herausgegeben, mit einer Einleitung und einem Nachwort versehen
von Michael K. Brust und Gerald Höfer
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Brust, Michael K. (Hg.)
Höfer, Gerald (Hg.)
Tief im Schoße des Kyffhäusers
1.Auflage
ISBN 3-937364-04-8
Bendeleben: Arte Fakt Verlagsanstalt, 2005
ISBN 3-937364-04-8