|
Bäume
von Rolf Hochhuth
Selbstverständlich ist Haß auf Bäume ein charakterlicher Defekt.
Der im neunzehnten Jahrhundert in England mehr geleistet hat als jeder andere zur Befreiung der Massen aus Elend und Dreck, der Bürgermeister von Birmingham, Joseph Chamberlain, erbat "sich schon mit vierzig Jahren als Grabspruch:
"Er pflanzte Bäume in unseren Straßen . . ."
Bismarck schreibt in Gedanken und Erinnerungen: "Ich kann nicht leugnen, daß mein Vertrauen in den Charakter meines Nachfolgers einen Stoß erlitten hat, seit ich erfahren habe, daß er die uralten Bäume vor der Gartenseite seiner, früher meiner Wohnung hat abhauen lassen, welche eine erst in Jahrhunderten zu regenerierende, also unersetzbare Zierde der amtlichen Reichsgrundstücke in der Residenz bildeten. Kaiser Wilhelm I., der in dem Reichskanzlergarten glückliche Jugendtage verlebt hat, wird im Grabe keine Ruhe haben, wenn er weiß, daß sein früherer Gardeoffizier alte Lieblingsbäume, die ihresgleichen in Berlin und Umgebung nicht hatten, hat niederhauen lassen, um un poco piu di luce zu gewinnen. Aus dieser Baumvertilgung spricht . . . ein . . . Charakterzug . . . Ich würde Herrn von Caprivi manche politische Meinungsverschiedenheit eher nachsehen als die ruchlose Zerstörung uralter Bäume, denen gegenüber er das Recht des Nießbrauchs eines Staatsgrundstücks . . . mißbraucht hat."
Es ist symbolisch, daß der exilierte Kaiser Wilhelm II. noch als Greis das Hobby pflegte, Bäume zu vernichten - und daß er es war, der nicht nur das Reich seines Großvaters zerstört hat, 1918, sondern auch das Werk Bismarcks, der auf seinen Gütern Schonungen für dreißig ausländische Baumarten anlegte und einmal sagte: "Wenn meine politischen Taten längst vergessen sind, werden diese Pflanzungen beweisen, daß ich gelebt habe."
Heinrich Mann sah geradezu die Ankündigung des Schlimmsten darin, dass die Nazis in Berlin die Straße Unter den Linden vernichteten: "Offenbar wäre ich nicht der Mann gewesen, in Berlin die historischen Linden abzuhauen - nicht einmal technische Gründe haben es entschuldigt."
Welches Unheil kündigt es heute an, daß in der Bundesrepublik Deutschland fast jeder Stadtverwaltung ein Kretin zugehört, der >befugt< ist, seinen Haß auf Bäume auszutoben?
Die Hebamme
Mitten in einer Hauptschlagader des Verkehrs stand ein mächtiger Ahornbaum, ich dachte: woanders hätte das Straßenbau-Amt ihn längst abhacken lassen; wo man alte Bäume auch dann respektiert, wenn sie im Wege stehen, wird man überhaupt einzelne gelten lassen - einzelne sind ja stets "im Weg".
Station Basel
Quelle:
Rolf Hochhuth
"Spitzen des Eisbergs"
Betrachtungen Dialoge
Essays Skizzen
Herausgegeben von Dietrich Simon
Verlag Volk und Welt Berlin
Nachbemerkung und Quellenverzeichnis am Schluss des Bandes
ISBN 3-353-00254-5
2. Auflage
Verlag Volk und Welt, Berlin 1987
mit Genehmigung der Rowohlt Verlag GmbH,
Reinbek bei Hamburg
Copyright © 1982 by Rowohlt Verlag GmbH,
Reinbek bei Hamburg
L. N. 302,410/183/87
Printed in the German Democratic Republic
Alle Rechte an dieser Ausgabe vorbehalten
Vertrieb in der Deutschen Demokratischen Republik
und den übrigen sozialistischen Ländern
Einbandentwurf: Gerhard Medoch
Satz, Druck und Einband:
Karl-Marx-Werk Pößneck V 15/30
LSV 7309
Bestell-Nr. 6480409
00900
|
|