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Erlkönigs Tochter
(Erlkönig)
Bild: www.goethezeitportal.de
Übertragung der dänischen Volksballades
durch Johann Gottfried Herder
(1744-1803)
Herr Oluf reitet spät und weit,
Zu bieten auf seine Hochzeitleut;
Da tanzen die Elfen auf grünem Land,
Erlkönigs Tochter reicht ihm die Hand.
»Willkommen, Herr Oluf, was eilst von hier?
Tritt her in den Reihen und tanz mit mir.«
»Ich darf nicht tanzen, nicht tanzen ich mag,
Frühmorgen ist mein Hochzeittag.«
»Hör an, Herr Oluf, tritt tanzen mit mir,
Zwei güldne Sporne schenk ich dir.
Ein Hemd von Seide so weiß und fein,
Meine Mutter bleichts mit Mondenschein.«
»Ich darf nicht tanzen, nicht tanzen ich mag,
Frühmorgen ist mein Hochzeittag.«
»Hör an, Herr Oluf, tritt tanzen mit mir,
Einen Haufen Goldes schenk ich dir.«
»Einen Haufen Goldes nähm ich wohl;
Doch tanzen ich nicht darf noch soll.«
»Und willt, Herr Oluf, nicht tanzen mit mir,
Soll Seuch und Krankheit folgen dir.«
Sie tät einen Schlag ihm auf sein Herz,
Noch nimmer fühlt er solchen Schmerz.
Sie hob ihn bleichend auf sein Pferd.
»Reit heim nun zu deinem Fräulein wert.«
Und als er kam vor Hauses Tür,
Seine Mutter zitternd stand dafür.
»Hör an, mein Sohn, sag an mir gleich,
Wie ist dein Farbe blaß und bleich?«
»Und sollt sie nicht sein blaß und bleich,
Ich traf in Erlenkönigs Reich.«
»Hör an, mein Sohn, so lieb und traut,
Was soll ich nun sagen deiner Braut?«
»Sagt ihr, ich sei im Wald zur Stund,
Zu proben da mein Pferd und Hund.«
Frühmorgen und als es Tag kaum war,
Da kam die Braut mit der Hochzeitschar.
Sie schenkten Met, sie schenkten Wein:
»Wo ist Herr Oluf, der Bräutigam mein?«
»Herr Oluf, er ritt in Wald zur Stund,
Er probt allda sein Pferd und Hund.«
Die Braut hob auf den Scharlach rot,
Da lag Herr Oluf, und er war tot
"Erlkönigs Tochter" erschien in der Sammlung "Volkslieder" (2 Teile, 1778-1779; hier zweiter Teil, zweites Buch), in der Johann Gottfried Herder (1744-1803) Dichtungen zahlreicher Völker, teilweise in eigener Übertragung, herausgab. An der Sammlung der oft mündlich überlieferten Lieder hatte sich Goethe beteiligt. Johann von Müller, der eine Bearbeitung nach Herders Tod 1807 edierte, gab der Sammlung den heute geläufigen Titel "Stimmen der Völker in Liedern".
Sein Verständnis von "Volkslied" erläutert Herder in der Vorrede zum zweiten Teil der Sammlung:
Es ist wohl nicht zu zweifeln, daß Poesie und insonderheit Lied im Anfang ganz volksartig, d.i. leicht, einfach, aus Gegenständen und in der Sprache der Menge, so wie der reichen und für alle fühlbaren Natur gewesen. Gesang liebt Menge, die Zusammenstimmung vieler: er fordert das Ohr des Hörers und Chorus der Stimmen und Gemüter. [...]
[...] Sie [die ursprüngliche Poesie] lebte im Ohr des Volkes, auf den Lippen und der Harfe lebendiger Sänger; sie sang Geschichte, Begebenheit, Geheimnis, Wunder und Zeichen: sie war die Blume der Eigenheit eines Volks, seiner Sprache und seines Landes, seiner Geschäfte und Vorurteile, seiner Leidenschaften und Anmaßungen, seiner Musik und Seele.
Zit. nach Johann Gottfried Herder: Stimmen der Völker in Liedern. Hrsg. von Christel Käschel. Frankfurt a.M.: Röderberg 1978, S. 149.
Quelle:
www.goethezeitportal.de
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