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"Der vergiftete Garten"
von Fjodor Sologub
Deutsch von Eckhard Thiele
Die Natur der dürstenden Steppen
Gebar ihn am Tage des Zorns.
Puschkin
" Schöner Jüngling, worüber denkst du so tief nach?" fragte die alte Frau, bei der der Jüngling ein Zimmer gemietet hatte.
Sie war am Abend leise in sein halbdunkles Zimmer gekommen und, in ihren weichen Pantoffeln auf dem braunrotgestrichenen, unebenen Fußboden kaum hörbar sich nähernd, neben den Jüngling getreten. Er schrak zusammen, weil es so unverhofft geschah. Schon eine halbe Stunde stand er am einzigen Fenster seiner engen Kammer im Obergeschoß des alten Hauses und schaute unentwegt in den sich vor ihm öffnenden schönen Garten, wo viele zart, süß und sonderbar duftende Pflanzen blühten. Der Jüngling antwortete der alten Frau:
"Nein, Alte, ich denke an gar nichts. Ich stehe, schaue und warte."
Die alte Frau schüttelte vorwurfsvoll den grauen Kopf, und die Zipfel ihres dunklen Tuchs schaukelten hin und her wie zwei wachsam gespitzte Ohren. Ihr runzliges Gesicht, das gelblicher und hagerer war als das der anderen alten Frauen, die in dieser Straße am Rande der großen alten Stadt wohnten, drückte jetzt Besorgnis und Unruhe aus. Die alte Frau sprach leise, und traurig:
,,Du dauerst mich, lieber Jüngling."
Ihre Stimme, obwohl auch schon heiser, war so wohltönend erfüllt von Trauer, von aufrichtigem Mitleid, und ihre schon vom Alter verblaßten Augen blickten so bekümmert, daß es dem Jüngling im Halbdunkel seines Zimmers für einen kurzen Augenblick dünkte, als seien diese äußeren Merkmale des Alters nur eine gut angepaßte Maske und als, verberge sich dahinter eine junge, schöne Frau, die erst unlängst das herzzerreißende Leid einer Mutter, die um ihren toten Sohn weint, erfahren hat.
Doch der seltsame Augenblick verging, und der Jüngling lächelte über seinen wunderschönen Traum. Er fragte: "Warum dauere ich dich. Alte?"
Die alte Frau stand neben ihm, blickte aus dem Fenster in den schönen, blühenden, von den Strahlen der untergehenden Sonne beschienenen Garten und sagte: ,,Du dauerst mich, lieber Jüngling, weil ich weiß, wohin du schaust und worauf du wartest. Du und deine Mutter, ihr dauert mich."
Vielleicht durch diese Worte, vielleicht auch durch etwas anderes wandelte sich die Stimmung des Jünglings. Der blühende und duftende, von einem hohen Zaun umgebene Garten unter seinem Fenster erschien ihm mit einmal merkwürdig, und ein dunkles Gefühl, wie plötzliche Angst, ließ sein Herz entsetzt stocken; es schien, als käme das von den würzigen, betörenden Düften, die die bunten Blumen dort unten verströmten.
,Was ist das bloß?' dachte der Jüngling befremdet. Er wollte sich nicht dem träumerischen Zauber abendlicher Wehmut hingeben und versuchte, sich zusammenzunehmen, lächelte, strich mit einer raschen Bewegung der kräftigen Hand eine schwarze Locke aus der hohen Stirn und fragte: "Was ist denn Unrechtes daran, daß ich schaue, und worauf warte ich? Und woher weißt du, worauf ich warte?"
In diesem Augenblick war er fröhlich, kühn und schön, seine schwarzen Augen flammten, seine frischen Wangen glühten, seine roten, leuchtenden Lippen sahen aus, als seien sie soeben geküßt worden, und dahinter schimmerten feste, weiße Zähne - lustige, böse Zähne.
Die alte Frau sprach: "Lieber Jüngling, du schaust in den Garten und weißt nicht, daß es ein böser Garten ist. Du erwartest die Schöne und weißt nicht, daß ihre Schönheit Verderben bringt. Zwei Jahre wohnst du in meinem Zimmer, aber niemals warst du so in diesen Anblick versunken wie heute. Offenbar kommt nun die Reihe an dich. Noch ist es nicht zu spät, geh weg vom Fenster, atme nicht den Odem der heimtückischen Blumen und warte nicht, bis die Schöne unter dein Fenster tritt, um zu zaubern.
Sie wird kommen, wird zu zaubern beginnen, und du wirst ihr folgen, auch, wohin du nicht willst."
Bei diesen Worten zündete die alte Frau zwei Kerzen auf dem Tisch an, wo Bücher lagen, schloß das Fenster und zog den Vorhang zu. Leise klirrend, glitten die Ringe auf dem kupfernen Stab entlang, der gelbe Stoff des Vorhangs wellte und beruhigte sich wieder, und im Zimmer wurde es fröhlich, ruhig und behaglich. Und es war, als gäbe es vorm Fenster keinen Garten und auf der Welt keine Verzauberung, als sei alles einfach, gewöhnlich, ein für allemal festgelegt.
,,Es stimmt", sagte der Jüngling, "ich habe den Garten nie beachtet, heute habe ich zum erstenmal die Schöne gesehen."
"Nun hast du sie schon gesehen", sagte die alte Frau traurig, "Nun ist schon der böse Same der Verzauberung in deine Seele gelegt."
Der Jüngling aber sagte, halb zur alten Frau, halb zu sich selbst: ,,Früher hatte ich gar keine Zeit dazu. Tags war ich zu den Vorlesungen in der Universität, abends saß ich über meinen Büchern oder war mit fröhlichen Kameraden und schönen Mädchen auf Abendgesellschaften oder im Theater, oben auf der Galerie oder mit dem Studentenbillett auch im Parkett, wenn wenig zahlendes Publikum kam: die Theaterdirektoren lieben uns, wir klatschen ausdauernd Beifall und rufen die Schauspielerinnen heraus, bis alle Lichter gelöscht werden. Im Sommer fährt man zu den Eltern. So hatte ich bisher nur davon gehört, daß der großartige Garten unseres Professors, des berühmten Botanikers, sich nebenan befindet."
"Berühmt ist er, weil er seine Seele dem Teufel verkauft hat", sagte die alte Frau zornig. Der Student lachte vergnügt. "Trotzdem", sagte er, ,,finde ich es sonderbar, daß ich seine Tochter bis zum heutigen Tag nicht gesehen habe, obwohl mir viel von ihrer wunderbaren Schönheit zu Ohren gekommen war und davon, daß viele vornehme Jünglinge aus der alten Stadt und aus anderen nahen und fernen Orten um ihre Liebe geworben, gehofft und sich getäuscht haben und manche sogar gestorben sind, weil sie ihre Kälte nicht ertrugen."
"Sie ist heimtückisch", sagte die alte Frau. "Sie kennt den Wert ihrer Zauberkünste und zeigt sich nicht jedem. Ein armer Student hat es schwer, ihre Bekanntschaft zu machen. Ihr Vater hat sie in vielem unterrichtet, was selbst Gelehrte nicht wissen, doch mit dir wird sie sich kein Stelldichein geben. Sie hält es mehr mit den Reichen, von denen sie viele Geschenke erwarten kann."
"Alte, heute habe ich sie genau gesehen", wandte der Jüngling ein, "und mir scheint, daß ein Mädchen mit so schönem Gesicht, so klaren Augen, so graziösen Manieren und so hübscher Kleidung nicht heimtückisch und eigennützig sein, nicht Geschenken nachjagen kann. Ich habe mir fest vorgenommen, ihre Bekanntschaft zu suchen. Heute noch werde ich zum Botaniker gehen."
"Der Botaniker läßt dich nicht über seine Schwelle", sagte die alte Frau. "Sein Diener wird dich gar nicht melden, wenn er deine schäbige Kleidung sieht."
"Was kümmert ihn meine Kleidung!" rief der Jüngling ärgerlich. "Ja, wenn du auf einer geflügelten Eidechse geritten kämst", sagte die alte Frau, "würde man dich vielleicht einlassen und nicht auf deine Flicken schauen."
Der Jüngling lachte und rief belustigt:
,,Wohlan, Alte, wenn ich nicht anders hineingelange, sattle ich eine geflügelte Eidechse!" "Von euren Streiks ist nichts Gutes zu erwarten", knurrte die alte Frau. "Wenn ihr friedlich lerntet, wäre alles gut. Und du brauchtest nicht traurig zu sein wegen dieser schlauen Schönen und ihres schrecklichen Gartens."
"Was ist denn Schreckliches in ihrem Garten?" fragte der Jüngling. "Und wir kamen einfach nicht umhin, zu streiken: unsere Rechte und die Rechte der Universität sind verletzt worden. Sollten wir uns demütig damit abfinden?"
"Junge Leute müssen lernen", knurrte die alte Frau, "und nicht ihre Rechte abwägen. Du aber, mein lieber Junge, solltest - bevor du die Schöne kennenlernst - morgen früh beim Sonnenschein, wenn man alles klar und richtig sieht, vom Fenster aus aufmerksam in ihren Garten schauen. Du wirst sehen, in diesem Garten gibt es nicht die Blumen, die hier jedermann bekannt sind. Die Blumen, die dort wachsen, kennt niemand bei uns in der Stadt. Bedenke es gut, denn das kommt nicht von ungefähr. Der Teufel ist heimtückisch - ist dies nicht sein Werk, um die Menschen zu verderben?"
,,Es sind fremdländische Pflanzen", sagte der Jüngling, ,,man hat sie aus warmen Ländern mitgebracht, wo alles anders ist."
Doch die alte Frau wollte die Unterhaltung nicht fortsetzen. Sie winkte verdrossen ab und schlurfte hinaus, undeutlich ärgerliche, unfreundliche Worte murmelnd. Die erste Regung des Jünglings war, ans Fenster zu treten, den gelben Vorhang zurückzuziehen und wieder in den verzauberten Garten zu sehen und zu warten. Doch er wurde gestört: sein Freund, ein lauter, linkischer junger Mann, kam und lud ihn ein, zu ihrem Versammlungsort mitzukommen, um zu reden, zu streiten, zu lärmen und zu lachen. Lachend und - mehr als es sich schickte - entrüstet die Arme schwenkend, erzählte der Freund dem Jüngling unterwegs, was am Morgen in den Hörsälen und auf den Korridoren der Universität vorgefallen, wie alle Vorlesungen gesprengt und die Gegner des Streiks beschämt worden waren, welche wunderbaren Worte die geliebten, guten Professoren gesagt und wie lächerlich sich die ungeliebten und also schlechten Professoren gemacht hatten.
Der Jüngling erlebte einen interessanten Abend. Er sprach aufgeregt wie alle. Er hörte aufrichtige, leidenschaftliche Reden. Er blickte die Freunde an, deren Gesichter die sorglose Kühnheit der Jugend und ihre hitzige Empörung ausdrückten.
Er sah liebe, kluge, sittsame Mädchen und träumte davon, aus ihrem vergnügten Kreis eine Freundin zu wählen. Und beinahe hätte er die Schöne in ihrem zauberhaften Garten vergessen. Er kehrte spät nach Hause zurück und schlief fest ein.
Am Morgen, als er die Augen aufschlug und sein Blick auf den gelben Stoff des Fenstervorhangs fiel, schien es ihm, als sei das Gelb vom Purpur eines dunklen Wunsches verfärbt und berge eine seltsame, unheimliche Spannung. Es war, als richte die Sonne zudringlich und leidenschaftlich ihre brennenden, bitteren Strahlen auf den von goldenem Licht durchstrahlten Stoff - rufend, fordernd, erregend. Und zur Antwort auf die merkwürdige äußerliche Spannung von Gold und Purpur füllten sich die Adern des Jünglings mit feurigem Leben, strömte behende Kraft in die Muskeln, wurde das Herz der Ursprung heller Brände. Von Millionen belebender, brennender, erweckender Nadeln wonnig durchbohrt, sprang er aus dem Bett und tanzte, unbekleidet, mit jungenhaft fröhlichem Lachen im Zimmer umher.
Von dem ungewöhnlichen Lärm angezogen, schaute die alte Wirtin zur Tür herein. Sie schüttelte vorwurfsvoll den Kopf und sagte mißmutig: "Lieber Junge, du tanzt und freust dich und beunruhigst alle, aber worüber du dich freust, weißt du selbst nicht, und du ahnst nicht, wer unter deinem Fenster steht und was sie dir bereiten wird."
Der Jüngling geriet in Verwirrung, war leise und sittsam wie zuvor, seinem Charakter gemäß und der guten Erziehung angemessen, die er zu Hause genossen hatte. Er wusch sich gründlicher als gewöhnlich, vielleicht, weil er heute nicht zu den Vorlesungen eilen mußte, vielleicht auch aus einem anderen Grund, und kleidete sich ebenso ordentlich an, bürstete den schon recht schäbigen Rock sorgfältig aus: einen neuen hatte er nicht, denn seine Eltern waren nicht reich und konnten ihm nur wenig Geld schicken. Dann trat er ans Fenster. Sein Herz stockte vor Unruhe, als er den gelben Vorhang zurückzog. Ein bezauberndes Bild tat sich vor ihm auf - doch bemerkte er heute sofort, daß dieser weite, vortrefflich gelegene Garten etwas Seltsames an sich hatte. Was ihn befremdete, begriff er noch nicht gleich, und er betrachtete aufmerksam den Garten.
Was war unangenehm an seiner Schönheit? Weshalb stockte das Herz des Jünglings? Lag es daran, daß in diesem zauberhaften Garten alles gar zu regelmäßig war? Die Wege waren schnurgerade, sämtlich von gleicher Breite und gleichmäßig mit einer ebenen Schicht gelben Sandes bedeckt, die Pflanzen in sorgfältiger Ordnung gesetzt, die Bäume zu Kugeln, Kegeln und Zylindern beschnitten, die Blumen in den Farbtönen aufeinander abgestimmt, so daß die Anordnung das Auge erquickte, und dennoch verletzte es die Seele. Was aber war, recht besehen, unangenehm an dieser Ordnung, die davon zeugte, daß sich jemand unermüdlich um den Garten sorgte? Nein, der Grund für die sonderbare Unruhe, die den Jüngling quälte, lag natürlich nicht darin, sondern in etwas anderem, das er noch nicht begriff.
Eines stand außer Zweifel, dieser Garten glich keinem der Gärten, die der Jüngling in seinem Leben bisher gesehen hatte. Hier erblickte er riesige und allzu bunte Blumen - zuweilen schien es, als flammten verschiedenfarbene Feuer im üppigen Grün -, die Ranken brauner und schwarzer Pflanzen, dick wie tropische Schlangen, Blätter von sonderbarer Form und unmäßiger Größe, deren Grün unnatürlich grell wirkte. Würzige, betörende Düfte strömten in leichten Wellen zum offenen Fenster herein, der Odem von Vanille und Weihrauch und bitteren Mandeln - süße und bittere, feierliche und traurige Düfte wie das triumphale Mysterium eines Begräbnisses.
Der Jüngling spürte auf seinem Gesicht die zarte, aber ermunternde Berührung eines Lufthauchs. In diesem sonderbaren Garten, so schien es, besaß der Wind keine Kraft und legte sich ermattet auf das ruhig-grüne Gras und in den Schatten unter den Büschen. Weil die Bäume und Gräser des Gartens atemlos still waren, nicht den leise über ihnen wehenden Wind hörten und ihm nicht antworteten, wirkten sie leblos. Und darum trügerisch, böse, feindselig für den Menschen.
Freilich, eines der Gewächse regte sich. Doch bei seinem Anblick lachte der Jüngling auf. Was er für den blattlosen Stamm eines sonderbaren Gewächses gehalten hatte, war ein kleingewachsener, hagerer, schwarzgekleideter Mann. Er stand vor einem Strauch mit hellpurpurnen Blättern, kam dann langsam, auf einen dicken Stock gestützt, den Weg entlang zu jenem Fenster, aus dem der Jüngling schaute. Nicht so sehr am Gesicht, das von der breiten Krempe des schwarzen Hutes verdeckt und von oben nur zum Teil sichtbar war, wie am Gebaren und am Gang erkannte der Jüngling den Botaniker. Der Jüngling wollte nicht unsittsam erscheinen und trat vom Fenster zurück. Plötzlich sah er, wie dem Botaniker die Schöne, seine junge Tochter, entgegeneilte. Ihre nackten Arme hatte sie zu den hochgebundenen schwarzen Zöpfen erhoben, sie steckte sich gerade eine feuerrote Blume ins Haar. Die leichte, kurze Tunika wurde auf der Schulter von einer goldenen Spange gehalten. Ihre leicht sonnengebräunten, bis zu den Knien entblößten Beine waren wohlgestaltet wie die einer auferstandenen Göttin. Das Herz des Jünglings stockte, er vergaß alle Vorsicht und Sittsamkeit, stürzte wieder zum Fenster und blickte begierig auf die liebreizende Erscheinung. Die Schöne warf ihm einen raschen, feurigen Blick zu- unter den schwarzen, ebenmäßigen Brauen leuchteten blaue Augen - und lächelte zärtlich und listig.
Wenn Menschen glücklich sind, wenn ihnen zuzeiten die Sonne einer irrsinnigen Freude scheint, sie im wonnigen Wirbel des Entzückens in Länder jenseits aller Schranken trägt, wo wären dann die Worte, dies zu sagen? Und wenn es auf der Welt bezaubernde Schönheit gibt, wie sollte man sie beschreiben?
Doch nun blieb die Schöne stehen, blickte den Jüngling unverwandt an, lachte froh - und in einem unsäglichen Wirbel des Entzückens vergaß der Jüngling alles, was es auf der Welt gab, beugte sich ungestüm aus dem Fenster und rief mit vor Erregung schwingender Stimme: ,,Du Liebe! Schöne! Göttliche! Komm zu mir! Liebe mich!"
Die Schöne kam näher, der Jüngling hörte eine leise klingende, klare Stimme, und ein jeder Laut verursachte seinem Herzen süße Qual: "Lieber Jüngling, kennst du den Preis meiner Liebe?"
"Sei es um den Preis des Lebens!" rief der Jüngling aus. ,,Führe sie mich auch an das dunkle Tor des Todes!"
Wie die flammende und lachende Himmelsröte stand die Schöne vor dem Jüngling und streckte ihm die schlanken, entblößten Arme entgegen. Sie sprach, und ihre Worte verströmten den betörenden, verführerischen Duft einer zarten Tuberose: "O lieber Jüngling, weiser und leidenschaftlicher Jüngling, du weißt, du siehst, du erlebst es. Viele haben mich geliebt, viele Schöne, Junge, Starke begehrten mich, vielen habe ich huldvoll zugelächelt mit dem Lächeln der letzten Trösterin, doch niemals zuvor habe ich einem die süßen und schrecklichen Worte gesagt: ,Ich liebe dich.' Jetzt bin ich bereit und warte."
Leidenschaft und Begehren klangen in ihrer Stimme. Sie löste eine schwarze Seidenschnur mit einem bronzenen Schlüssel von ihrem Gürtel, und sie hob bereits die Hand, um dem Jüngling den Schlüssel zuzuwerfen. Doch schon eilte der Vater hinzu, der von ferne bemerkt hatte, daß sie mit einem unbekannten Jüngling sprach. Grob packte er ihre Hand, entwand ihr den Schlüssel und rief mit heiserer Greisenstimme, die so widerwärtig klang wie das schwerfällige Krächzen eines alten Raben auf dem Friedhof: ,,Du Wahnsinnige, was willst du tun? Du hast mit ihm nicht zu sprechen. Dieser Jüngling ist nicht von der Art jener, für die wir den Garten gehegt, die Säfte der Pflanzen mit dem giftigen Harz des Antiars gemischt haben. Nicht für solche wie diesen Habenichts ist unser Ahnherr am verderbenbringenden Odem dieses schrecklichen Harzes gestorben. Geh, geh ins Haus und wage es nicht, mit ihm zu sprechen!"
Der Alte zog die Tochter zum Haus, das tief im Garten zu sehen war. Er hielt ihre beiden Hände fest in der seinen umklammert. Die Schöne folgte dem Vater demütig und lachte. Ihr Lachen war klar, wohltönend, süß und stach mit Tausenden scharfen Stacheln ins flammende Herz des Jünglings.
Er stand noch am Fenster, blickte lange angestrengt in die berechneten und bereinigten Weiten des verzauberten Gartens. Doch die Schöne zeigte sich nicht mehr. Alles in dem wundersamen Garten war reglos und still, leblos erschienen die ungeheuerlich bunten Blumen, sie verströmten einen Duft, der den Jüngling schwindeln ließ, ihm vor drückender Sehnsucht das Herz zusammenzog, einen Duft, der an den dunklen, ungestümen, gierigen Odem von Vanille, Zyklamen, Tollkraut und Tuberose erinnerte, böser, unseliger Blumen, die sterbend töten, die durch das Geheimnis des Todes bezaubern.
Der Jüngling war fest entschlossen, in den wundersamen Garten einzudringen, die geheimnisvollen Düfte zu atmen, welche die Schöne atmete, und ihre Liebe zu erobern, sei es um den Preis des Lebens, sei der Weg zu ihr auch todbringend, sei es auch ein Weg ohne Wiederkehr.
Wer aber konnte ihm helfen, ins Haus des alten Botanikers zu gelangen? Der Jüngling verließ das Haus. Lange ging er in der Stadt umher und fragte alle, die er kannte, nach der Schönen, der Tochter des Botanikers. Die einen konnten ihn nicht in das Haus des alten Botanikers einführen, die anderen wollten es nicht, und alle sprachen mißgünstig von der Schönen.
Ein Freund sagte ihm: "Alle vornehmen jungen Männer der Stadt sind in sie verliebt und preisen ihre erlesene, raffinierte Schönheit. Uns gemeinem Volk aber ist ihre Schönheit verhaßt und unnütz; ihr totes Lächeln ärgert uns, und der Irrsinn im Blau ihrer Augen scheint uns widerwärtig." Ein Mädchen sprach im gleichen Sinne: "Ihre Schönheit, von der so viele nichtige und reiche Jüngling sprechen, ist nach unserer Ansicht gar keine Schönheit. Es ist die tote Schönheit des Verfalls und des Niedergangs. Ich glaube gar, sie legt rote und weiße Schminke auf. Sie riecht wie eine giftige Blume: selbst ihr Atem ist parfümiert, und das ist widerwärtig."
Ein populärer Professor sagte: "Mein Kollege Botaniker ist ein berühmter und gelehrten Mensch; doch er will seine Wissenschaft nicht den hoher Interessen der Humanität unterordnen. Seine Tochter, heißt es, sei bezaubernd: manche sagen gar, ihre Kostüme und Manieren seien originell; ich hatte übrigens nicht die Gelegenheit, mich mehr oder minder ausgiebig mit ihr zu unterhalten überdies trifft man sie in unserem Kreise selten an. Ich denke jedoch, ihr Zauber enthält etwas der Gesundheit Schädliche; - mir sind seltsame Gerüchte zu Ohren gekommen, für deren Glaubwürdigkeit ich allerdings nicht bürgen kann, Gerüchte wonach die Sterblichkeit bei den jungen Aristokraten, die dieses Haus besuchen, über dem Durchschnitt liege." Ein Abt, mit einem feinen Lächeln im glattrasierten, blasser Gesicht, sagte: "Wenn die Schöne zu mir in die Kirche kommt, betet sie garzu inbrünstig. Man könnte meinen, sie habe schwere Sünden zu büßen. Ich hoffe indes, wir müssen sie nicht im Leinenhemd einer reumütigen Sünderin in der Vorhalle der Kirche stehen sehen."
Eine Mutter sagte, nachdem sie ihre Töchter aus dem Zimmer geschickt hatte: "Ich verstehe nicht, was man Anziehendes an ihr findet. Ihretwegen ruiniert man sich; sie kokettiert, bricht die Herzen der Jünglinge, macht den Bräuten die Bräutigame abspenstig, doch sie selbst liebt keinen. Meinen lieben Töchtern Minotschka, Linotschka, Dinotschka, Ninotschka, Rinotschka, Tinotschka und Sinotschka erlaube ich nicht, mit ihr Bekanntschaft zu pflegen. Sie sind sittsam, lieb, reizend, fröhlich, freundlich, fleißig, sind emsig im Haushalt und bei den Handarbeiten. Mag es mir auch noch so leid tun, sie herzugeben, doch meine Älteste möchte ich mit solch einem sittsamen
Jüngling vermählen, wie Sie es sind."
Der Jüngling eilte davon. Die sieben Schwestern lächelten ihm aus dem Fenster zu, eine an die andere gedrängt. Es war ein liebreizendes, angenehmes Bild, doch das Herz des Jünglings erfüllten süße, unheimliche Träume von der Schönen.
Der alte Botaniker führte seine Tochter ins Haus. Sein Zorn besänftigte sich, und obwohl er die zusammengelegten zarten Hände der fröhlich lächelnden Schönen bis zur Schwelle nicht aus seinen großen knochigen Fingern ließ, preßte er sie doch nicht mehr so schmerzhaft und stieß sie nicht so grob vorwärts. Sein Gesicht war traurig. Er ließ die Hände seiner Tochter los, und sie folgte ihm gehorsam in sein Arbeitszimmer, einen großen, düsteren Raum, die Wände voller Regale mit vielen dicken, verstaubten Büchern. Der Botaniker setzte sich auf einen dunklen Ledersessel an dem schweren Eichentisch. Er wirkte müde. Er bedeckte die noch jugendlich strahlenden Augen mit seiner pergamentgelben, zitternden Hand und sah unter der Hand hervor seine Tochter vorwurfsvoll an. Die Schöne kniete zu Füßen des alten Botanikers nieder, blickte zu seinem Gesicht auf, lächelte zärtlich und demütig. Sie hielt sich gerade, ihre Arme waren herabgesunken, in ihrer Pose lag gefaßte Demut, im Lächeln des verführerischen Mundes sanfter Trotz. Ihr Gesicht schien erbleicht zu sein, es war, als flamme schüchtern auf ihren, Lippen der Wahnsinn eines Lachens auf und als verberge sich im Blau ihrer Augen der Aberwitz der Sehnsucht. Sie schwieg und wartete, was der Vater sagen werde.
Er sprach langsam, als suche er mühevoll nach Worten.
"Meine Liebe, was mußte ich hören? So etwas habe ich von dir nicht erwartet. Warum hast du das getan?" Die Schöne senkte den Kopf und sagte leise:
"Vater, früher oder später mußte dies geschehen."
"Früher oder später?" fragte der Vater, gleichsam verwundert. Und er fuhr fort: "Dann soll es lieber später als früher geschehen."
"Ich bin entflammt", sagte die Schöne leise. Das Lächeln auf ihren Lippen war wie der Widerschein eines lichterloh brennenden Feuers, in ihren Augen zuckten heimlich blaue Blitze, und ihre entblößten Schultern und Arme waren wie ein feines Alabastergefäß voll geschmolzenen Metalls. Heftig atmete die hohe Brust, und zwei weiße Wogen drängten aus den engen Umarmungen ihres Kleides, dessen zarte Farbe an das gelbliche Rosa eines Pfirsichs erinnerte. Unter den Falten des kurzen Gewandes schauten die schlanken Beine hervor, die zitternd auf dem dunkelgrünen Samtteppich lagen.
Der Vater schüttelte leise den Kopf und sagte traurig und streng: "Du, liebe Tochter, bist, wiewohl keusch geblieben, doch so erfahren und so geschickt in der wundersamen Kunst des Zauberns; doch du mußt wissen, daß es für dich noch zu früh ist, mich zu verlassen und meinen Plan unvollendet auf zugeben."
"Aber wird es denn kein Ende haben?" widersprach die Schöne. "Sie kommen wieder und wieder." "Niemand weiß", sagte der Botaniker, "ob dies das Ende ist und ob wir die Vollendung unseres Planes sehen oder sie anderen Generationen überlassen werden. Doch wir tun, was wir können. Besinne dich, jetzt kommt der junge Graf zu dir. Du wirst ihn küssen und ihm eine vergiftete Blume nach seiner Wahl geben. Er wird fortgehen, voll süßer Hoffnungen und banger Erwartungen, und das Unausweichliche wird sich an ihm vollziehen."
Ein Ausdruck der Demut und der Langeweile legte sich auf das Gesicht der Schönen. Der Vater sagte zu ihr: "Geh."
Er beugte sich herab, küßte sie auf die Stirn. Die Schöne schmiegte ihre heißen, roten Lippen an seine runzlige, gelbe Hand, preßte ihre weiße, halb entblößte Brust an seine mageren Knie, seufzte und erhob sich. Und ihr Seufzen war wie das Stöhnen einer Schalmei. Eine halbe Stunde später sprach die Schöne, sanft lächelnd, zu dem jungen, schönen, hochmütigen Grafen, im gleichen Gewand vor ihm im Garten stehend, an einem runden Beet mit bunten, großen Blumen, die einen betäubenden Duft verströmten: "Lieber Graf, du willst sehr viel. Dein Begehren ist allzu feurig und allzu ungeduldig."
Ihr Lächeln war zärtlich und listig, und ihre keusch-klaren Blicke glitten liebevoll über die schlanke Gestalt des jungen Grafen und über seine reiche Kleidung, die aus den teuersten Tuchen modisch und schön genäht und mit Gold und Edelsteinen geschmückt war.
,,Liebe Zauberin", sprach der Graf, "ich weiß, du warst kalt zu den vielen, die deine Zuneigung suchten. Zu mir aber wirst du freundlicher sein. Ich vermag deine Liebe zu erringen. Bei meiner Ehre schwöre ich, ich werde das kalte Blau deiner Augen dunkel werden lassen vor Leidenschaft."
"Wie, Graf, willst du meine Liebe erwarben?" fragte die Schöne. Undurchdringlich war der Ausdruck ihres schönen Antlitzes, und ihre Stimme verhehlte nicht die Erregung, die so leicht von Mädchen Besitz ergreift, wenn sie die glühende Stimme einer ihnen angetragenen Leidenschaft vernehmen. Doch der selbstsichere, hochmütige Graf ließ sich nicht beirren.
Er sprach: "Von meinen Vorfahren habe ich viele Schätze geerbt, und ich selbst habe sie durch Gold und Mut vermehrt. Ich besitze viele Edelsteine, Ringe, Halsbänder, Armbänder, orientalische Stoffe und Parfüme, arabische Pferde, Kleider aus Seide und Atlas, seltene Waffen und anderes mehr, was ich gar nicht so rasch aufzählen kann, was mir gar nicht gleich einfällt. Das alles werde ich dir, Zauberin, zu Füßen legen, mit Rubinen werde ich dein Lächeln aufwiegen, mit Smaragden deine Tränen, mit Gold deine duftenden Seufzer, mit Diamanten deine Küsse und mit einem Stoß des treuen Dolches deine arglistige Untreue."
Die Schöne lachte. Sie sagte: "Noch gehöre ich dir nicht, und schon fürchtest du meine Untreue und drohst mir. Das könnte mich doch erzürnen!"
Der Graf kniete jäh vor der Schönen nieder und bedeckte ihre geschmeidigen, schlanken Hände mit Küssen, von deren zarter Haut ein leichter, unheimlicher Wohlgeruch aufstieg. ,,Verzeih meinen Wahnsinn, bezaubernde Schöne", flehte er und hatte augenblicklich seinen Hochmut vergessen, "die Liebe zu dir raubt mir die Ruhe und gibt mir wilde Taten und seltsame Worte ein. Doch was soll ich tun? Ich liebe dich mehr als meine Seele und bin, um dich zu besitzen, bereit, nicht nur mit meinen Schätzen, nicht nur mit meinem Leben zu bezahlen, sondern auch mit dem, was mir teurer ist als mein Leben und mein Seelenheil - mit meiner Ehre!"
Die bezaubernde Schöne sagte liebenswürdig: ,,Deine Worte haben mich gerührt, lieber Graf. Steh auf. Ich werde keinen unangemessenen Preis für meine Liebe von dir fordern - sie ist nicht zu kaufen und nicht zu verkaufen. Doch wer liebt, muß auch warten können. Wahre Liebe findet stets einen Weg zum Herzen der Geliebten."
Der Graf erhob sich. Mit einer eleganten Geste rückte er die Spitzenmanschetten seines grünen Atlasrockes zurecht und bedachte die Schöne mit einem langen, entzückten Blick. Ihrer beider Augen trafen sich, und der Ausdruck der keusch-hellen Augen der Schönen war wie zuvor undurchdringlich. Von dumpfer Unruhe ergriffen, die in Minuten der Todesgefahr selbst Hochmütige und Selbstsichere ergreift, trat der Graf von der Schönen zurück. Auf einer nahen Bank lag ein schön geschnitztes eichenes Kästchen. Der Graf öffnete es und reichte es mit ehrfurchtsvoller Verbeugung der Schönen.
Sonnenstrahlen zuckten fröhlich lachend auf den Brillanten und Rubinen eines Diadems. Dem hochmütigen Grafen schien es, als falle das Strahlen und Lachen von den geröteten Lippen der Schönen auf die wertvollen Steine. Doch ihr Lächeln war wie zuvor, und sie betrachtete das Geschenk, als sei es ein wertloses, jedoch angenehmes Zeichen der Aufmerksamkeit.
Sie war einen Augenblick lang bekümmert, blickte düster und sagte: "Meine Vorfahren waren Sklaven, du aber schenkst mir ein Diadem, das selbst eine Herrscherin nicht ausschlüge." ,,Zauberin", rief der Graf, ,,du bist noch prächtigerer Diademe würdig!"
Die Schöne lächelte ihm freundlich zu, und wieder wurde sie ein wenig traurig, blickte düster und sprach leise: ,,Heiße Blutstropfen unter den Peitschen der Grausamen waren das Los meiner Vorfahren, mir aber sind feierliche Rubine gekrönter Freude beschieden." Und ganz, ganz leise hauchte sie: "Aber ich vergesse es nicht."
,,Warum an das längst Vergangene denken!" rief der Graf. ,,Voller Freude sind die Tage der lichten Jugend, die Trauer der Erinnerung aber überlassen wir dem Alter."
Die Schöne lachte, vertrieb mit dem Lachen die augenblickliche Bekümmerung, die dahinschmolz wie eine Wolke in der Sommersonne. Sie sagte zum Grafen: ,,Für dein schönes Geschenk, lieber Graf, gebe ich dir heute eine Blume nach deiner Wahl und einen Kuß. Nur einen." Der junge Graf geriet in Entzücken und äußerte es so ungestüm und laut, daß die Schöne sanft und streng wiederholte: "Nur einen, nicht mehr."
Und sie fragte den Grafen: "Welche Blume, lieber Graf, willst du von mir?" Der Graf erwiderte:
,,Schöne Zauberin, was immer du mir gibst, ich werde dir für alles unsäglich dankbar sein."
Lächelnd sprach die Schöne: "Alle Blumen, die du, lieber Graf, hier siehst, sind aus fernen Ländern mitgebracht. Sie wurden unter großen Mühen und sogar unter Gefahren gesammelt. Durch emsige Pflege hat mein Vater ihre Gestalt, ihre Farbe und ihren Duft verbessert. Lange hat er ihre Eigenschaften erforscht, hat umgepflanzt, gekreuzt, gepfropft und am Ende erreicht, daß aus armen, wilden, unschönen Blümchen von Feld und Wald solche bezaubernden wohlriechenden Blumen wurden."
,"Und die bezauberndste Blume bist du, du Schöne!" rief der Graf. Sie seufzte leicht und fuhr fort: ,,Viele finden ihren Duft zu stark und betäubend. Und ich bemerke, daß du, lieber Graf, erbleichst - wir haben zu lange inmitten dieser heißen Düfte geweilt. Ich bin es gewohnt, ich habe sie von Kind an geatmet, und mein Blut ist durchdrungen von ihren süßen Dünsten. Doch du solltest nicht zu lange hier stehen. Wähle rasch, welche Blume du von mir nehmen willst."
Aber der junge Graf beharrte, die Schöne solle die Blume für ihn wählen - ungeduldig wartete er auf ihr zweites Geschenk, den versprochenen Kuß, den ersten Kuß von ihr. Die Schöne blickte auf die Blumen. Ihr Gesicht verdüsterte sich wieder durch einen leisen Schatten der Trauer. Plötzlich, wie von fremdem Willen geführt, streckte sie schnell ihre Hand aus, die so schön war in ihrer entblößten Schlankheit, und pflückte eine weiße, gefüllte Blume. Sie verlangsamte die Bewegung der Hand, beugte den Kopf, und mit der Miene schamhafter Unentschlossenheit näherte sie sich dem Grafen und legte ihm die Blume auf eine Tresse seines Rockes.
Ein starker, durchdringender Duft strömte dem jungen Grafen ins Gesicht, und ihm schwindelte in träumerischer Ohnmacht. Gleichgültigkeit und Müdigkeit beherrschten ihn.
Er war kaum noch bei Sinnen, spürte kaum, wie die Schöne ihn bei der Hand nahm und ins Haus führte, fort von den Düften des wundersamen Gartens.
Der Graf erwachte in einem Zimmer des Hauses, wo alles hell, weiß und rosa war. Die jünglingshafte Frische kehrte in sein Antlitz zurück, seine schwarzen Augen brannten wieder vor Leidenschaft, und er fühlte aufs neue Lebensfreude und drängendes Begehren. Doch schon lauerte das Unausweichliche. Eine nackte, schlanke Hand legte sich um seinen Hals, und zärtlich, süß und lang war der duftende Kuß der Schönen. Die zwei blauen Blitze ihrer Augen leuchteten dicht vor seinen Augen und verbargen sich im leisen Geheimnis der langen Wimpern. Unheimliche Feuer süßen Schmerzes umwirbelten das Herz des jungen Grafen. Er hob die Hände, um die Schöne zu umarmen, doch mit einem leisen Schrei wich sie zurück, leicht und still; sie floh und ließ ihn allein. Der Graf wollte ihr nacheilen. Doch in der Tür des rosafarbenen Zimmers begegnete ihm der alte Botaniker. Höhnisch war das Lächeln der schmalen Lippen, die sich als roter Strich in das pergamentgelbe Gesicht kerbten. Der Graf war betreten. Mit einer ihm sonst nicht eigenen Verlegenheit, im ganzen Körper Schwäche spürend, empfahl er sich dem alten Botaniker und ging.
Unheimliche Wirbel süßen Schmerzes umkreisten immer rascher das Herz des jungen Grafen, als er auf seinem arabischen Rappen nach Hause ritt, und er hörte kaum das helle Klappern der Hufe auf den Steinen. Immer bleicher wurde sein Gesicht.
Plötzlich fielen seine Augen zu, die Hand ließ die Zügel fahren, er sank zusammen und glitt aus dem Sattel. Das erschrockene Pferd bäumte sich auf, warf den Reiter ab und jagte davon. Der Graf war schon tot, als man ihn aufhob, sein Kopf war an den Steinen zerschmettert. Niemand vermochte sich zu erklären, woran er gestorben war. Merkwürdig, er war doch ein gewandter Reiter gewesen!
Die Nacht brach an. Süß und unruhig leuchtete der Vollmond, hexte und zauberte mit seinen kalten, grabesstillen Strahlen. Dumpfe Angst erfüllte das Herz des Jünglings, als er an sein Fenster trat. Seine Hände ergriffen den Saum des gelben Vorhangs, aber verhielten und zögerten lange, bis er sich entschloß und den Vorhang gemächlich zur Seite zog. Langsam sich windend, raschelte der gelbe Stoff, und das Geräusch ähnelte dem kaum hörbaren Pfeifen einer Schlange im Waldesdickicht; leise klangen und klirrten die leichten Ringe auf der kupfernen Stange.
Die Schöne stand unter dem Fenster, blickte hinauf und wartete. Das Herz des Jünglings erschauerte, er wußte nicht, ob sein Herz sich vor Angst oder vor Entzücken quälte. Die schwarzen Zöpfe der Schönen waren abgebunden und fielen auf ihre nackten Schultern. Ein scharfer Schatten lag zu ihren unbekleideten Füßen auf der Erde. Seitlich vom Mond beschienen, stand die Schöne da wie eine jähe, deutliche Erscheinung. Die Falten der weißen Tunika waren streng und dunkel. Dunkel war das Blau der Augen der Schönen, rätselhaft ihr unbewegtes Lächeln. In der sonderbaren Ruhe ihres Körpers und ihres Gewandes schimmerte dunkel die matt- glänzende Spange auf ihrer Schulter.
Die Schöne sprach leise, ihre Worte dufteten nach Ambra, Moschus und Tuberose und klangen wie die feinen silbernen Ketten an einem angezündeten Weihrauchkessel. ,,Lieber Jüngling, ich liebe dich. Deinem Ruf folgend, verstoße ich gegen den Willen meines Vaters und komme dir sagen: Fürchte mich und meine Zauber, flüchte weit aus dieser alten Stadt und überlaß mich meinem finsteren Schicksal, mich, die ich vom bösen Odem des Antiars berauscht bin."
,,O du Schöne!" antwortete der Jüngling. ,,Du, die ich kaum kennengelernt habe und die mir schon teurer ist als mein Leben und meine Seele, warum sagst du mir solche grausamen Worte?
Oder traust du meiner Liebe nicht, die plötzlich entflammt ist, aber nie mehr erlöschen wird?"
"Ich liebe dich", wiederholte die Schöne, "und ich will dich nicht ins Verderben stürzen. Mein Atem ist von Gift durchtränkt, und mein schöner Garten ist vergiftet. Du bist der erste, dem ich es sage, denn ich liebe dich. Eile und verlasse diese Stadt, fliehe diesen Garten mit seiner unheilbringenden Schönheit, fliehe weit weg und vergiß mich."
Trunken vor Entzücken und vor Trauer, die süßer war als alle irdischen Freuden, rief der Jüngling: "Meine Geliebte! Was will ich denn von dir? Nicht nach einem Augenblick nur dürstet meine Seele! Verbrennen in der seligen Flamme des Entzückens und der Liebe und zu deinen lieblichen Füßen sterben!"
Ein leises Zucken lief über den Körper der Schönen, und sie wurde wie die klare Freude der Morgenröte hinter weißem Nebel. Mit einer feierlichen, weiten Bewegung hob sie ihre nackten Arme, strebte zu dem Jüngling und sprach: ,, O mein Geliebter! Es sei, wie du es willst, mit dir zu sterben ist mir eine Wonne. Komm zu mir in meinen schrecklichen Garten, und ich erzähle dir meine dunkle Geschichte." Wieder, wie am Morgen, blitzte in ihrer Hand ein bronzener Schlüssel an einem rosafarbenen Band. Sie lachte, lief munter wie ein Knabe zurück, und das Weiß ihrer schlanken Füße auf dem dunkelgelben Sand des Weges schimmerte. Rasch und geschickt holte sie aus und warf ihm den Schlüssel ins Fenster. Der Jüngling streckte die Hände aus und fing den Schlüssel.
Im vergifteten Garten, im Schatten der geheimnisvollen Gewächse, wo der fahle Mond das Gift seines Trübsinns mit dem giftigen Odem der irdischen bösen Blumen mischte, standen der Jüngling und die Schöne trunken vor Entzücken und Trauer. Sie blickten einander in die Augen, und mit einer Stimme, die in ihrer Sprödigkeit an ein Cembalo erinnerte, sprach die Schöne:,,Meine Vorfahren waren Sklaven, aber auch Sklaven dürsten nach Freiheit.
Auf Geheiß seines Herrn unternahm einer meiner Ahnen eine lange, beschwerliche Reise in die Wüste, wo Antiar wächst. Er sammelte das giftige Harz des Antiars und brachte es seinem Herrn. Die vergifteten Pfeile bescherten dem Herrn so manchen Sieg. Aber mein Vorfahr starb, denn er hatte die bösen Düfte geatmet. Seine Witwe sann auf Rache am bösen Geschlecht der Sieger. Sie stahl vergiftete Pfeile, legte sie in Wasser und verbarg den Aufguß wie kostbarsten Wein in tiefen Kellern. Einen Tropfen aber tat sie in ein Wasserfaß, und mit diesem Wasser goß sie das Brachland am Rande der alten Stadt, wo sich jetzt unser Haus und dieser Garten befinden. Vom Boden des Fasses nahm sie einen Wassertropfen und mischte ihn in das Brot, das sie ihrem Sohn zu essen gab. So wurde der Boden dieses Gartens vergiftet, und ihr Sohn gegen das Gift unempfindlich. Seit jener Zeit hat sich unser ganzes Geschlecht, Generation um Generation, von Gift ernährt. Und jetzt fließt in unseren Adern giftflammendes Blut, unser Atem ist wohlriechend, aber verderbenbringend, und wer uns küßt, stirbt. Die Kraft unseres Giftes vermindert sich nicht, solange wir in diesem vergifteten Garten leben und die Düfte dieser ungeheuerlichen Blumen atmen. Ihre Samen sind von weit her gebracht worden, mein Großvater und mein Vater waren überall, wo es böse und den Menschen schädliche Pflanzen gibt, und hier, auf diesem von alters her vergifteten Boden, haben die bösen, die verderbenbringenden Blumen ihre ganze zornige Kraft entfaltet. So süß und freudig duftend, verwandeln diese Heimtückischen selbst den Tau, der vom Himmel fällt, in tödliches Gift."
So sprach die Schöne, und ihre Stimme klang freudig, ihr Gesicht flammte in großem Jubel. Als sie geendet hatte, lachte sie leise und unfroh. Der Jüngling beugte sich vor ihr und küßte stumm ihre Hände, den betörenden Wohlgeruch von Myrrhe, Aloe und Moschus atmend, welchen ihr Körper und ihr feines Gewand verströmten. Die Schöne fuhr fort: ,,Zu mir kommen die Nachfahren der Unterdrücker, denn meine böse, vergiftete Schönheit bezaubert sie. Ich lächele ihnen zu, den Todgeweihten, und sie alle tun mir leid, so manchen habe ich fast geliebt, keinem jedoch habe ich mich hin gegeben. Nur einen Kuß habe ich jedem geschenkt - meine Küsse waren unschuldig wie die Küsse einer zärtlichen Schwester. Und alle, die ich geküßt hatte, starben."
Schrecken und Entzücken, die beiden so ungleichen Leiden schatten, peinigten die Seele des verwirrten Jünglings. Doch die Liebe, über alles siegend, selbst die Pein todesnaher Trübsal überwindend, obsiegte auch jetzt. Entzückt die zitternden Hände zu der zärtlichen und schrecklichen Schönen aus streckend, rief der Jüngling: "Wenn in deinem Kuß der Tod ist, o Geliebte, so laß mich an der Unzählbarkeit der Tode berauscht sein! Schmiege die an mich, küsse mich, liebe mich, umfange mich mit den wonnevollen Düften deines vergifteten Atems, gieße Tod um Tod in meinen Körper und in meine Seele, bis du alles zerstört hast was ich gewesen bin!" "Du willst es! Du fürchtest dich nicht!" rief die Schöne.
Das Gesicht der Schönen, bleich im fahlen Mondschein, war wie eine matte Leuchte, und blau flackerten die Blitze ihre traurigen und frohen Augen. Mit einer zutraulichen, zart liehen, leidenschaftlichen Gebärde schmiegte sie sich an den Jüngling, und ihre nackten Arme umschlangen seine Hals.
"Wir werden gemeinsam sterben!" hauchte sie. "Wir werden gemeinsam sterben. Alles Gift meines Herzens steht in Flammen, feurige Ströme brausen durch meine Adern, ich bin wie ein lohender Scheiterhaufen."
"Ich stehe in Flammen!" flüsterte der Jüngling. "Ich verbrenn in deinen Umarmungen, du und ich, wir sind flammend Scheiterhaufen, lodernd im großen Entzücken der vergiftete Liebe."
Der traurige, fahle Mond verblaßte und sank; die schwarze Nacht kam und stand auf Wacht. Sie hüllte das Geheimnis der Liebe und der Küsse, der duftenden und vergifteten, in Finsternis und Stille. Sie lauschte dem Einklang der beide stockenden Herzen und wachte in behutsamem Schweigen über die letzten, leichten Seufzer.
So starb im vergifteten Garten der schöne Jüngling, satt geatmet an den Düften, die die Schöne verströmte, und berauscht von ihrer süßen Liebe, die ihm zärtlich und tödlich zufloß. An seiner Brust starb die Schöne, hauchte im süßen Zauber der Nacht und der Liebe ihre vergiftete, aber duftende Seele aus.
Quelle:
"Jenseits des Meirur"
© Verlag Philipp Reclam jun. Leipzig 1981
Wir danken der Gosudarstvennaja publicnaja biblioteka imeni Saltykova-Scedrina, Leningrad, die uns einen Teil der Originaltexte zur
Verfügung stellte
Reclams Universal-Bibliothek Band 885
l. Auflage
Reihenentwurf: Irmgard Horlbeck-Kappler
Umschlaggestaltung: Friederike Pondelik unter Verwendung
des Gemäldes "Sechsflügeliger Seraph" von Michail Wrubel, 1904
Gesetzt aus Garamond-Antiqua
Printed in the German Democratic Republic 1981
Lizenz Nr. 363. 340/44/81
LSV 7201 - Vbg. 24,7
Gesamtherstellung:
Grafischer Großbetrieb Völkerfreundschaft Dresden
Bestellnummer: 660 989 0
DDR 2,50 M© Verlag Philipp Reclam jun. Leipzig 1981
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