home
 
   
"Der schwarze Obelisk"


Erich Maria Remarque

"Möchtest du etwas sehen, das fast so ans Herz greift wie ein Rembrandt?" fragt Georg.
,, Immer los." Er nimmt etwas aus seinem Taschentuch und läßt es auf den Tisch fallen, daß es klingt. Es dauert eine Weile, bis ich es erkenne. Gerührt schauen wir es an. Es ist ein goldenes Zwanzigmarkstück. Das letztemal, daß ich eines gesehen habe, war vor dem Kriege. "Das waren Zeiten!" sage ich. "Frieden herrschte, Sicherheit regierte. Majestätsbeleidigungen wurden noch mit Festungshaft gesühnt, der Stahlhelm war unbekannt, unsere Mütter trugen Korsetts und hohe Kragen an ihren Blusen mit eingenähten Fischbeinstäbchen, Zinsen wurden gezahlt, die Mark war ebenso unantastbar wie Gott, und vierteljährlich schnitt man geruhsam die Coupons von den Staatsanleihen ab und bekam sie in Gold ausbezahlt. Laß dich küssen, du gleißendes Symbol einer versunkenen Zeit!"

Ich wiege das Geldstück in der Hand. Es trägt das Bildnis Wilhelms des Zweiten, der jetzt in Holland Holz sägt und sich einen Spitzbart hat wachsen lassen. Auf dem Konterfei trägt er noch den stolz aufgezwirbelten Schnurrbart, der damals hieß: Es ist erreicht. Es war tatsächlich erreicht. "Woher hast du es?" frage ich. "Von einer Witwe, die einen ganzen Kasten voll davon geerbt hat." "Guter Gott! Was ist es wert?"
"Vier Milliarden Papiermark. Ein kleines Haus. Oder ein Dutzend herrlicher Frauen. Eine Woche in der "Roten Mühle". Acht Monate Pension für einen Schwerkriegsverletzten -"
."Genug -" Heinrich Kroll tritt ein, die Fahrradspangen an den gestreiften Hosen. "Dies hier muß Ihr treues Untertanenherz entzücken", sage ich und wirbele den goldenen Vogel vor ihm durch die Luft. Er fängt ihn auf und starrt ihn mit wäßrigen Augen an. "Seine Majestät", sagt er ergriffen. "Das waren noch Zeiten! Wir hatten noch unsere Armee!"
"Es waren anscheinend für jeden verschiedene Zeiten", erwidere ich.
Heinrich blickt mich strafend an. "Sie werden doch wohl zugeben, daß es damals bessere Zeiten waren als heute!"
"Möglich!"

"Nicht möglich! Bestimmt! Wir hatten Ordnung, wir hatten eine stabile Währung, wir hatten keine Arbeitslosen, aber dafür eine blühende Wirtschaft, und wir waren ein geachtetes Volk. Oder wollen Sie das auch nicht zugeben?" .
"Ohne weiteres."
"Na also! Und was haben wir heute?"
"Unordnung, fünf Millionen Arbeitslose, eine Schwindelwirtschaft, und wir sind ein besiegtes Volk", erwidere ich. Heinrich ist verblüfft. So leicht hat er sich das nicht gedacht. "Na also", wiederholt er. "Heute sitzen wir im Dreck, und damals saßen wir im Fett. Die Schlußfolgerung werden ja wohl auch Sie ziehen können, wie?" "ich bin nicht sicher. Was ist sie?" -
"Das ist doch verdammt einfach! Daß wir wieder einen Kaiser und eine anständige, nationale Regierung haben müssen!"
"Halt!" sage ich. "Sie haben etwas vergessen. Sie haben das wichtige Wort "weil" vergessen. Das aber ist der Kern des Übels. Es ist der Grund dafür, daß heute Millionen wie Sie mit hocherhobenen Rüsseln wieder solchen Unsinn herumtrompeten. Das kleine Wort "weil"

"Was?" fragt Heinrich verständnislos.
"Weil!" wiederhole ich. "Das Wort "weil"! Wir haben heute fünf Millionen Arbeitslose, eine Inflation, und wir sind besiegt worden, weil wir vorher Ihre geliebte nationale Regierung hatten! Weil diese Regierung in ihrem Größenwahn Krieg gemacht hat! Weil sie diesen Krieg verloren hat!
Deshalb sitzen wir heute in der Scheiße! Weil wir Ihre geliebten Holzköpfe und Uniformpuppen als Regierung hatten! Und wir müssen sie nicht zurückhaben, damit es uns besser gehe, sondern wir müssen verhüten, daß sie wiederkommen, weil sie uns sonst noch einmal in Krieg und Scheiße jagen. Sie und Ihre Genossen sagen: Früher ging's uns gut, heute geht's uns schlecht - also wieder her mit der alten Regierung! In Wirklichkeit heißt es aber; Heute geht's uns schlecht, weil wir früher die alte Regierung hatten - also zum Teufel mit ihr! Kapiert? Das Wörtchen: Weil! Das wird gern von Ihren Genossen vergessen! Weil!"
"Blödsinn!" poltert Heinrich aufgebracht.
"Sie Kommunist!"
Georg bricht in ein wildes Gelächter aus. "Für Heinrich ist jeder ein Kommunist, der nicht stramm rechts ist."

Heinrich wölbt die Brust zu einer geharnischten Antwort. Das Bild seines Kaisers hat ihn stark gemacht. In diesem Augenblick aber tritt Kurt Bach ein. "Herr Kroll", fragt er Heinrich, "soll der Engel rechts oder links von dem Text: "Hier ruht Spenglermeister Quartz" stehen?"
"Was?"'
"Der Engel im Relief auf dem Grabstein Quartz."
"Rechts natürlich", sagt Georg.
"Engel stehen immer rechts."
Heinrich wird aus einem nationalen Propheten wieder ein Grabsteinverkäufer. "Ich komme mit Ihnen", erklärt er mißmutig und legt das Goldstück zurück auf den Tisch.
Kurt Bach sieht es und greift danach. "Das waren Zeiten", sagt er schwärmerisch.
"Für Sie also auch", erwidert Georg. "Was für Zeiten waren es denn für Sie?"
"Die Zeiten der freien Kunst! Brot kostete Pfennige, ein Schnaps einen Fünfer, das Leben war voller Ideale, und mit ein paar solcher Goldfüchse konnte man ins gelobte Land Italia reisen, ohne Furcht, daß sie bei der Ankunft nichts mehr wert seien."
Bach küßt den Adler, legt ihn zurück und wird wieder zehn Jahre älter.

Heinrich und er entschwinden. Heinrich ruft zum Abschied, düstere Drohung auf seinem verfetteten Gesicht: "Köpfe werden noch rollen!"
"Was war das?" frage ich Georg erstaunt. "Ist das nicht eine der vertrauten Phrasen Watzeks? Stehen wir etwa vor einer Verbrüderung der feindlichen Cousins?"
Georg sieht nachdenklich hinter Heinrich her. "Vielleicht", sagt er, "Dann wird es gefährlich. Weißt du was so hoffnungslos ist? Heinrich war 1918 ein rabiater Kriegsgegner. Inzwischen hat er alles vergessen, was ihn dazu machte, und der Krieg ist für ihn wieder ein frischfröhliches Abenteuer geworden.
Er steckt das Zwanzigmarkstück in die Westentasche. "Alles wird zum Abenteuer, was man überlebt. Das ist so zum Kotzen!
Und je schrecklicher es war, um so abenteuerlicher wird es in der Erinnerung.
Wirklich über den Krieg könnten nur die Toten urteilen; sie allein haben ihn ganz erlebt."
Er sieht mich an. "Erlebt?" sage ich, "erstorben."
"Sie und die, die das nicht vergessen", erwidert er. "Aber das sind wenige. Unser verdammtes Gedächtnis ist ein Sieb. Es will überleben. Und überleben kann man nur durch Vergessen."
Ersetzt seinen Hut auf. "Komm", sagt er. "Wir wollen sehen, was für Zeiten unser goldener Vogel in Eduard Knoblochs Gedächtnis hervorruft.


Quelle:

Erich Maria Remarque
"Der schwarze Obelisk"
Geschichte einer verspäteten Jugend
Aufbau - Verlag

l. Auflage 1980
Aufbau-Verlag Berlin und Weimar
Ausgabe für die sozialistischen Länder mit Genehmigung
des Verlages Kiepenheuer & Witsch GmbH & Co. KG, Köln
Einbandgestaltung Rolf Xago Schröder/Gerhard Kruschel
Grafischer Großbetrieb Völkerfreundschaft Dresden III/9/1
Printed in the German Democratic Republic
Lizenznummer 301 o 120/74/80
Bestellnummer 6124818
DDR 3,75 M