|
Tannennadeln ...
Archivtext - Dezember 2004
"Tannennadeln" eines der frühen Gedichte Wladimir Majakowskis soll über die Zeit der Feiertage an dieser Stelle, alle die es lesen daran erinnern, in welch unbefriedigender Situation sich ein Großteil vieler Menschen immer noch befindet.
Es macht mich ausgesprochen nachdenklich, wieviele unserer Mitmenschen sich, die Kaufhaustreppe hinauffahrend, dem Glück nur wenige Zentimeter entfernt wähnen, während die Welt um sie herum aus den Fugen gerät.
Helfen Sie mit, diese Leute wachzurütteln, sie aufzuwecken aus dem Schlaf der Sattheit und Zufriedenheit. Helfen Sie mit ihnen zu zeigen, daß jeder von uns Verantwortung tragen muß!
Tannennadeln
Nein, bittet ihn nicht, lasst!
Keine Weihnachtstanne.
Nein, schickt den Vater nicht
in den Wald!
Misstraut dem Wald
und dem bösen Manne,
der hinterm Wald Granatfäuste ballt.
Nein, es geht nicht.
Den Putz in blitzblanken Flittern
wollen wir heut
nicht in Watte betten.
Weil sonst Getroffne,
von tödlichen Splittern
verwundete, dort keine Watte hätten.
Nein, keine Kerzen.
Entsagt den Lichtern.
Am Welthimmel kreisen
die eisernen Drachen,
drin lauern Menschen
mit bösen Gesichtern,
ob Lichtlein in unsern Fenstern wachen.
Nein, sagt nicht,
der Weihnachtsmann solle kommen
mit seinem Sack
voll prächtiger Sachen.
Die Fabrik hat den Mann
in Beschlag genommen,
die Fabrik, wo sie Pulver und Kugeln machen.
Nein, keine Musik
wird diesmal erschallen.
Wie soll denn der armlose Musiker
fiedeln?
Bruder Flötist
ist im Felde gefallen,
er musste ins Himmelreich übersiedeln.
Nicht weinen. Was hilfts denn?
Verzieht nicht das Mündchen!
Bald wird die dunkle Welt
sich entschleiern.
Bald muss alles anders werden,
ihr Kindchen.
Dann werdet ihr fröhliche Weihnachten feiern.
Ein Tannenbäumchen wird dastehn,
ein mächtiges,
behängt mit Schmuckzeug
im Überfluss.
Das wird ein Fest sein,
ein wunderprächtiges,
ergötzlich - fast bis zum Überdruss.
Wladimir Majakowski (1916)
Quelle:
"Wage den Streit"
W. Majakowski - Gedichte
In Reclams Universal Bibliothek
2. Auflage 16. bis 20. Tausend
Umschlaggestaltung: Günther Horlbeck
Gesetz aus Aldus-Antiqua
Reclams Universal Bibliothek Nr.: 8765-68 C
Gedruckt in der Deutschen Demokratischen Republik
Lizenz Nr.: 363. 340/230/60
III/18/170 Philipp Reclam Junior Leipzig
|
|