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Hast du denn ganz ...
die Rosen ausempfunden vergangnen Sommers? Fühle, überlege:
das Ausgeruhte reiner Morgenstunden,
den leichten Gang in spinnverwebte Wege?
R.M.Rilke
Schnee im Dezember? - nicht ganz unerwartet aber trotzdem ein wenig unpassend. Unpassend aber nur deswegen, weil die im November gepflanzten Rosenhochstämme ja eigentlich noch den entsprechenden Winterschutz bekommen sollten. Ein bißchen Bodenfrost, wäre da vorher genau richtig gewesen.
Die gegen Ende November 2005 gepflanzten 400 Hochstammrosen, sollten ursprünglich den Winter über an ihren Halteseilen verbleiben und im Block durch einen Textilflies gegen die Wintersonne geschützt werden. Diese für den Rosengarten Dresden neue Variante des Winterschutzes für Hochstammrosen, hätte das ursprüngliche Umlegen und Eingraben der Kronen ersetzt.
Wichtig wurden diese Änderungen, weil die neugepflanzten Hochstämme noch keinen festen Halt im Boden haben. Die Spannung im Stamm sorgt eine geraume Weile dafür, dass die Wurzeln bzw. die Krone wieder aus der Erde hervor schnellen und somit die geplante Winterschutzmaßnahme verhindern.
Anfang Dezember gab es das erste Mal ein wenig Bodenfrost und damit die Möglichkeit auf den Beeten zu laufen ohne eine unnötige und später kaum wieder rückgängig zu machende Bodenverdichtung hervorzurufen.
Mit einer zurechtgeschnittenen Bahn des Textiflieses wurde nun versucht die verschiedensten Möglichkeiten des "Einpackens" auszuprobieren. Keine der geplanten Varianten konnte jedoch ausreichend überzeugen. Deshalb wurde die Phase des ersten Bodenfrostes genutzt, um wiederum nach herkömmlicher Art die Rosenhochstämme mit der Krone in das Erdreich zu bringen.
Es waren geradezu ideale Bedingungen an diesem einen Tag. Mit ca. 3 cm gefrorener Oberschicht behielt die Wurzelseite durch den eingefrorenen Zapfen einen stabilen Halt im Boden. Auf der Kronenseite waren die 3 cm gefrorener Boden hingegen kein großes Hindernis für einen kräftig geführten Spaten. Nach Abtrag der oberen Scholle konnte der darunter liegende Boden ausgehoben werden und bildete nach dem eingraben der Krone, auch auf dieser Seite einen festen Halt.
Leider dauerte dieses Wunschwetter nur einen ganzen Tag lang an. Kurze Zeit später war alles wieder aufgetaut und matschig. Es gab nun keine Möglichkeit mehr ohne Schaden für Boden und Pflanzen, auf diesen Beeten etwas zu tun.
Erst drei Wochen später, in der letzten Dezemberwoche des Jahres 2005, kam erst die Kälte und dann der Schnee nach Dresden. Bei schönstem Winterwetter mit Sonnenschein und Pulverschnee mußte eine Entscheidung getroffen werden, um die Schäden durch eine zu starke Wintersonne weitgehend zu minimieren.
Da es nun in nächster Zeit keine Möglichkeit des Umlegens und Eingrabens der Rosenhochstämme mehr geben würde, entschied man sich für das Einpacken der Einzelstämmchen mit Textilflies. Binnen kürzester Zeit konnte durch die Hilfe vieler Mitarbeiter des Grünflächenamtes aus dem Rosengarten und angrenzender Meisterbereiche, eine Umhüllung aller 400 Einzelkronen erfolgen.
Diese separate Winterschutzvariante pro Hochstamm hat die Vermeidung zu hoher Eis-, Schnee- und Windlasten an den Halteseilen als Hintergrund und wird nur für kurze Zeit zu nutzen sein.
Denn neben den Naturgewalten sind es ja doch auch immer wieder die menschlichen Gewalten, gegen die es immer weniger Schutzmöglichkeiten gibt. Schon am nächsten Tag waren bereits zwei Schutzhauben wieder entfernt und als Flugobjekt genutzt wurden.
Auch scheint die Freude über den vielen Schnee so groß zu sein, dass sie jeden klaren Blick für althergebrachte Wegebeziehungen zu trüben vermag. Es muß doch schon beim ersten Schritt in ein Rosenbeet klar werden, woran sich der Schlitten verhakt hat und das ein Weiterkommen an dieser Stelle äußerst beschwerlich sein wird. Aber nein, es muß unbedingt einmal versucht werden mitten hindurch zugehen und stolz eine "individuelle Fährte" in der bis dahin unberührten Natur zu hinterlassen.
Es heißt, dass gemeinhin der höhere Intellekt in der Lage ist einem niederen Intellekt seinen Willen in Form von Dressur oder Ausnützung des Nachahmungstriebes aufzuzwingen. Es ist eigentlich immer der Hund der das Stöckchen holt und nicht das Herrchen. Vergleicht man nun die "individuellen Fährten" im Schnee mit dem Urinieren eines Hundes bei fast jeder Gelegenheit um sein Revier zu markieren, hat man fast das Gefühl, dass hier doch das Herrchen mit großer Freude und Stolz das Stöckchen holt.
Winterliche Stanzen
Nun sollen wir versagte Tage lange
ertragen in des Widerstandes Rinde;
uns immer wehrend, nimmer an der Wange
das Tiefe fühlend aufgetaner Winde.
Die Nacht ist stark, doch von so fernem Gange,
die schwache Lampe überredet linde.
Laß dichs getrösten: Frost und Harsch bereiten
die Spannung künftiger Empfänglichkeiten.
Hast du denn ganz die Rosen ausempfunden
vergangnen Sommers? Fühle, überlege:
das Ausgeruhte reiner Morgenstunden,
den leichten Gang in spinnverwebte Wege?
Stürz in dich nieder, rüttele, errege
die liebe Lust: sie ist in dich verschwunden.
Und wenn du eins gewahrst, das dir entgangen,
sei froh, es ganz von vorne anzufangen.
Vielleicht ein Glanz von Tauben, welche kreisten,
ein Vogelanklang, halb wie ein Verdacht,
ein Blumenblick (man übersieht die meisten),
ein duftendes Vermuten vor der Nacht.
Natur ist göttlich voll; wer kann sie leisten,
wenn ihn ein Gott nicht so natürlich macht.
Denn wer sie innen, wie sie drängt, empfände,
verhielte sich, erfüllt, in seine Hände.
Verhielte sich wie im Übermaß und Menge
und hoffte nicht noch Neues zu empfangen,
verhielte sich wie Übermaß und Menge
und meinte nicht, es sei ihm was entgangen,
verhielte sich wie Übermaß und Menge
mit maßlos übertroffenem Verlangen
und staunte nur noch, dass er dies ertrüge:
die schwankende, gewaltige Genüge.
Rainer Maria Rilke
(Verstreute und nachgelassene Gedichte/Vollendetes)
Quelle:
"Gedichte"
Rainer Maria Rilke
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Satz und Druck: Reclam, Ditzingen
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