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Stadtgrün
Von der Notwendigkeit einer grünen Pflegekultur







von Jürgen Milchert

Dr. Jürgen Milchert Jahrgang 1953 studierte Landschaftsplanung an der TU Hannover,
arbeitete als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU Berlin.
Nach Promotion und Habilitation leitete von 1989 bis 1997 das Gartenbauamt Bremerhaven.
Seit 1997 ist Milchert Professor an der FH Osnabrück im FB Landschaftsarchitektur.



Im kommunalen Grünflächenwesen herrscht scheinbar notwendigerweise eine gravierende Verschwendung gesellschaftlicher Ressourcen. Zwar gibt es mit steigender Tendenz immer mehr öffentliche Grünflächen, aber ein Großteil davon verkommt, verunkrautet und vermüllt, wird also mit kleinstmöglichem Aufwand ,,gepflegt". Immer weniger Personal ist für immer mehr Flächen zuständig. Das kommunale Grün ist faktisch degeneriert zur preiswerten kommunalen Restflächenverwertung. Mit dem Stadtgrün verkommt seine wichtige stadtkulturelle Funktion. Wir brauchen deshalb eine neue grüne Pflegekultur und wir brauchen den Mut, für unzumutbare Flächenzwickel auch die Verantwortung abzulehnen.
Selbst aus landschaftsarchitektonisch aufwendig gestalteten Parks, Plätzen und Spielräumen entsteht nach wenigen Jahren öffentliches Einheitsgrün. ,,Durch mangelnde Pflege zerstört, so lautet ein oft zu hörender Vorwurf unter Landschaftsarchitekten. Selbstverständlich ist dies auch Folge eines problematischen gesellschaftlichen Wertesystems: Für Neues ist Geld vorhanden, denn die Eröffnung neuer Spielräume, neuer Stadtplätze und Parks lässt sich politisch vermarkten. Der pflegliche Umgang mit dem Vorhandenen ist dagegen wenig imageträchtig, gilt irgendwie als konservativ, ja spießig.

So entstehen beispielsweise komplizierte Wasserspiele, die nur im Eröffnungssommer sprudeln. Dann spart man an der Reparatur oder - schlimmer noch - an den Energiekosten, ja selbst am Wasser. Differenzierte Staudenbeete werden nach wenigen Jahren zu Rasenflächen ,, rückgebaut". Unsere öffentliche Gartenkultur verflacht, während die private Gartenkultur ,,boomt". Aus Parks werden Hundeklos und Unsicherheitsorte, die der normale Bürger besser meidet.
Es ist also dringend geboten, eine Pflegekultur zu entwickeln. Dies ist keine Marginale, sondern drückt den Wert unseres städtischen Zusammenlebens aus. Es ist ein Armutszeugnis, wenn eine Gemeinschaft nicht bereit ist, das pfleglich zu unterhalten, was sie an gemeinschaftlichen Werten geschaffen hat. Die Parks als potentielle Kommunikationsorte werden so zu Niemandsländern. Es ist eine wichtige, gleichermaßen kollektive wie staatliche Aufgabe, den öffentlichen Raum der Stadt zu verteidigen.

Fünf Thesen können die Bedingungen und Bausteine einer neuen Pflegekultur zur Diskussion stellen.

1. Der Abbau des kommunalwirtschaftlichen Pflegepersonals muss endlich gestoppt werden. In den Grünflächenämtern - oder was von ihnen übrigblieb - muss wieder Planungssicherheit einkehren. Für eine reiche städtische Gesellschaft wie die unsere ist es nicht nur höchst lächerlich sondern auch politisch verheerend wenn sie das Stadtgrün als öffentlichen Raum nicht ausreichend alimentiert. Aber auch von Seiten Verantwortlichen in den Grünverwaltungen muss politisch vermittelt werden, dass es längst kein Einsparungspotential mehr gibt, sondern dass es statt dessen darum geht neue kommunalwirtschaftliche Pflegestrukturen aufzubauen. Der unsägliche Diskurs über die betriebswirtschaftliche Optimierung der Ämter ist grünpolitisch kontraproduktiv weil er Einsparungsmöglichkeiten suggeriert.

2. Die Bürger müssen an der Unterhaltung ihres Grüns beteiligt werden. Dies ist nicht aus Sparzwang notwendig, sondern weil sich damit der Identifikationsgrad der Bürger mit ihrem grünen öffentlichen Raum verstärkt. In Deutschland gibt es hier ein Mentalitätsproblem, denn anders als etwa in England mit seiner National Trust-Tradition, gehört das Stadtgrün nicht den Bürgern, sondern in guter obrigkeitsstaatlicher Tradition denen da ,,Oben", also der Stadt, dem Staat oder dem Grünflächenamt. Es müssen konkrete Strategien erprobt werden, diese Mentalität zu brechen und den Bürgersinn zu stärken. Ein Weg könnte etwa die Überführung des Stadtgrüns in gemeinnützige Stiftungen, die Entwicklung von Patenschaftsmodellen und das positive Heranziehen von Beschäftigungsmodellen sein. Die pflegliche Unterhaltung des Grüns kann zur gesellschaftlich anerkannten Arbeit werden und nicht wie heute zu einer minderwertigen und lästigen sozialen Strafaufgabe.

3. Seit den Nachkriegsjahren hat sich in den Städten ein beträchtlicher Grünflächenbestand entwickelt. Auch die Grünflächenämter haben sich stolz als Flächensammler betätigt, jede neue Grünfläche als Erfolg gefeiert. So entstanden keine bedürfnisorientierten Grünsysteme, sondern zufällige grüne Konglomerate. Heutzutage müssen die städtischen Grünflächenämter endlich den Mut aufbringen, ihre meist überdimensionierten Grünbestände zu entrümpeln. Man muss sich von dem trennen, was nicht mehr unterhaltbar ist und kaum kulturelle oder soziale Funktion besitzt. Vor allem der Unterhalt des biotoporientierten Stadtgrüns, das munter im Rahmen der Ausgleichsmaßnahmen entsteht, kann erst dann wieder zum ernsthaften Thema werden, wenn wir eine zeitgemäße Pflegekultur besitzen. Eine Entrümpelung der öffentlichen Grünsysteme muss einhergehen mit der Konzentration auf die wesentlichen Grünräume und Aufgaben. Auf dieses wesentliche Grün, das heißt Parks, Spielplätze, Stadtplätze und Friedhofsflächen, muss die Arbeit der Grünflächenämter gerichtet sein. Ihre Gestaltung muss hervorragend sein, ihr Pflegezustand ausgezeichnet und jeder Bürger sollte sich hier sicher fühlen.

4. Die öffentlichen städtischen Grünräume sind zentrale Orte der Stadtkultur. Das Stadtgrün ist der kollektive Repräsentationsort unserer städtischen bürgerlichen Gesellschaft. Verkommen diese Räume, so steht mehr auf dem Spiel als das bißchen Müll, Hundekot oder Unkraut vermuten lässt. Kann die soziale Kontrolle der Bürger diese Räume nicht mehr sichern, so muss man vorurteilsfrei formellere Maßnahmen prüfen. Es darf nicht sein, dass unsere Parks zu herrschaftsfreien Orten werden, zu Orten, in denen das Recht des Stärkeren herrscht. Dann kann es letztendlich dazu kommen, dass wie im Stadtpark von Dessau ein Mensch umgebracht wird, weil den Neonazis seine Hautfarbe nicht passte. Reservate brauchen Schutz. Das gilt vor allem auch für unsere immer multikultureller werdende Stadtgesellschaft. Deshalb muss über Zäune, über Parkwächter, über Polizei im öffentlichen Grün nachgedacht werden. In anderen Gartenkulturen, zum Beispiel im republikanischen Frankreich, ist dies selbstverständlich.

5. Die Parks wieder zu Orten der Stadtkultur zu machen bedeutet, ein möglichst reibungsloses Nebeneinander verschiedener Nutzungsansprüche zu gewährleisten. Es wäre beispielsweise falsch, die sozialen Randgruppen aus dem Stadtgrün zu vertreiben, ohne ihnen qualitativ hervorragende und bedürfnisgerechte Alternativen zu bieten. Es ist eine komplexe planerische Aufgabe, ein möglichst reibungsfreies Nebeneinander im Grünen zu organisieren. Der Grad der Toleranz und Humanität einer Gesellschaft mißt sich auch daran, wie sie mit ihren Randgruppen und Bettlern umgeht. Hier ist konkrete planerische Intelligenz gefragt. So kann man Sollbruchstellen gegen Vandalismus einrichten, man kann bedürfnisgerechte grüne Orte für Nichtseßhafte einrichten oder durch bewußte Segregation Konflikte vermeiden.
Die Entwicklung einer modernen Pflegekultur bedeutet rein betriebswirtschaftlich gesehen sicherlich einen Mehraufwand an finanziellen und personellen Aufwendungen. Volkswirtschaftlich und politisch sind hiermit aber gravierende Vorteile verbunden, die auch größeren Aufwand rechtfertigen. Eine Stadt ohne öffentliche Gartenkultur muss weit mehr an Sozialkosten, an Krankheitskosten aufwenden und braucht mehr Geld, ihre Konflikte friedlich zu regeln. Vor allem aber bedeutet ein Mehr an Gartenkultur einen Gewinn an urbaner Lebensqualität. Die Entwicklung einer Pflegekultur im öffentlichen Grün ist ein wirtschaftlicher Standortfaktor für eine moderne städtische Gemeinschaft.




© LA Landschaftsarchitektur 8 / 2001