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"der Krapfen auf dem Sims"


... Haben wir also wieder mal einen tollen Tag in einer vibrierenden Metropole herumgekriegt.
Ein zweiseitiger Comic ist uns nicht eingefallen, mir aber endlich ein Buchtitel: DER KRAPFEN AUF DEM SIMS. Das ist nicht zu humorig, nicht zu lakonisch, nicht deutlich auf etwas anderes anspielend, nicht zu originell, nicht zu unspektakulär, sondern ein schöner Buchtitel.
In ca. 30 % aller Rezensionen und Hinweise wird es zwar KARPFEN statt KRAPFEN heißen, aber Karpfen machen sich ja auch gut als Simsbelag....


www.katzungold.de

Schulen nicht unbedingt ans Netz

Mitte der siebziger Jahre trug sich an westdeutschen Schulen eine technische Revolution zu. Sie nannte sich »Sprachlabor«. Nicht jede Schule bekam eines, aber aufgrund landesväterlicher oder privater Großzügigkeit gehörte meine Schule zu den in diesem Einzelfall privilegierten. Es handelte sich um einen Raum, in welchem jeder Schülerplatz mit einem Kopfhörer, einem Mikrophon und zwei oder drei Knöpfen zum darauf Herumdrücken ausgestattet war. Der Lehrerplatz hatte noch einige Knöpfe mehr. Alle waren sehr neugierig. Es ging die Kunde, mit dem Sprachlabor werde man irgendwie »automatisch« oder sogar »unterbewußt« lernen, und man war überzeugt, daß der Lehrer Aussprachefehler viel besser höre und daher auch korrigieren könne, wenn ihm die Schüler per Kopfhörer direkt ins Ohr quaken.
Leider war die Lehrerin im Kopfhörer zu leise. Es gab einen Lautstärkeregler, aber wenn man an ihm drehte, machte es nur »brtzl«.

Die Lehrerin sprach daher so laut, daß die Schüler sie nicht wegen, sondern trotz der dicken, drückenden und die Ohren heiß machenden Kopfhörer vernehmen konnten. Außerdem war das Sprachlabor falsch verkabelt. Die Lehrerin hatte in ihrem Kopfhörer wahlweise die Stimmen sämtlicher Schüler auf einmal oder von keinem. Wir waren nur ein einziges Mal im Sprachlabor. Ingenieure aus einer weit entfernten Stadt reisten herbei, deren Know-nicht-how die Mängel aber nicht dauerhaft beseitigte. Nach wenigen Monaten wurde das Sprachlabor für immer geschlossen und diente fortan als Abstellkammer für unvollständige Skelette, nicht mehr leuchtende Leuchtglobusse und revanchistische, weil den Ostverträgen nicht Rechnung tragende Deutschlandkarten.
Gelegentlich, bei Raummangel, wurden noch Erdkunde- oder Deutschstunden im Sprachlabor abgehalten. In diesen Stunden zerrten die Schüler an den heraushängenden Kabeln, flochten sie zu Brezeln und pulten die Knöpfe aus den Pulten. Die Lehrer konnten das nicht sehen.

Ich hatte das Sprachlabor längst vergessen.
Neuerdings denke ich wieder daran, wenn ich in den Medien höre, wie Politiker und Laien-Zukunftspäpste fordern, daß in den Schulen für jeden Schüler ein Internetzugang bereitzustehen habe. Wenn dies nicht im Handumdrehen geschehe, dann habe Deutschland binnen kurzem international abgekackt. Es werde von der Landkarte der relevanten und visionären Nationen binnen Jahrzehntfrist getilgt werden. Bundeskanzler Schröder und all die vielen, vielen, vielen anderen Menschen, all diese unendlich vielen anderen Menschen, die genauso sind wie Bundeskanzler Schröder, vertreten die Ansicht, daß der Umgang mit dem Internet eine Kulturtechnik sei, genauso wichtig wie Lesen und Schreiben.
Das Internet ist eine sehr praktische Angelegenheit. Diejenigen, die es beruflich nutzen, zur wissenschaftlichen Arbeit oder für Recherchen, werden kaum mehr darauf verzichten wollen. Ob man es, abgesehen vom Buchen von Flügen, auch privat sinnvoll nutzen kann, weiß ich nicht, doch der Respekt vor denjenigen, die ihre Freizeit in ödem Smalltalk mit wildfremden Leuten versickern lassen, verbietet es mir, zu bezweifeln, daß es irgendwo einen intelligenten Chat Room gibt.

Insgesamt ruht auf dem Internet so mancher Segen. Muß man deswegen aber Klassenzimmer in Großraumbüros verwandeln, wie es die Leute wünschen, die meinen, daß alle »Schulen ans Netz« müssen? Der Verdacht liegt nahe, daß diejenigen, die das aufgeblasene Wort von der alles verändernden »Kulturtechnik« im Munde führen, das Internet selbst nie aufgesucht haben und es daher für eine geheimnisvolle und komplizierte Welt halten.
In Wahrheit ist das Internet ein zwar großes, aber schlichtes Reich. Ein bißchen wie Rußland. Wer jemanden hat, der ihm gelegentlich einen Tip gibt und ab und zu über die Schulter schaut - aber bitte nicht ständig über die Schulter schauen, das nervt -, der wird sich bei ausreichendem Interesse spätestens nach 14 Tagen recht wendig in diesem Reich bewegen. Die Schwierigkeit, ins Internet einzusteigen, liegt irgendwo zwischen dem Binden eines Windsorknotens und dem Erlernen von Standardtänzen.
Ein noch besserer Vergleich ist das Autofahren. Das kann man auch nicht von Natur aus, aber in kurzer Zeit lernt es fast ein jeder - Menschen mit geringer Intelligenz interessanterweise manchmal leichter als geistig höher begabte, was man auch einfach begründen könnte, würde man Zeit dazu, Lust darauf und Platz dafür haben. Auf jeden Fall ist das Autofahren eine wichtige Sache. Für viele Jobs ist ein Führerschein genauso Grundvoraussetzung wie für andere EDV-Kenntnisse. Würde man aber deshalb das Steuern eines Pkws als eine essentielle Kulturtechnik bezeichnen und die Schulen damit beauftragen, diese Technik zu vermitteln? Würde man nicht. Autofahren, Krawattenbinden und Internet sollen die Menschen bitte in ihrer Freizeit erlernen.

Für die Vermittlung von Grundkenntnissen in diesen Bereichen sind die allgemeinbildenden Schulen zu schade, zur Förderung von herausragenden Talenten sind sie dagegen ungeeignet. Da gilt es, andere Institute zu beauftragen bzw. erst einmal zu gründen.
Nehmen wir mal den berühmten deutschen Chemiker, dessen Name mir gerade nicht einfällt. Sein Gesicht prangt auf allen Chemie-Illustrierten. Jeder kennt seinen Namen, nur ich gerade nicht. Ist der etwa so ein großer Wissenschaftler geworden, weil er in der Schule Chemie hatte? Sicher nicht! Er hat mit zehn einen Chemiekasten bekommen, mit elf einen größeren Chemiekasten und mit zwölf einen so großen Chemiekasten, daß seine Eltern ihr Schlafzimmer räumen mußten. Er holte sich Fachzeitschriften aus der Bücherei, mit dreizehn wußte er mehr als sein Lehrer, es folgten Beteiligungen an »Jugend forscht« etc.
Dem Chemieunterricht in der Schule verdankt er seinen Nobelpreis ganz gewiß nicht.

Gibt es eigentlich außer mir auch andere Menschen, die die Wendung »im Internet surfen« als einen lächerlichen Terminus von vor knapp zehn Jahren empfinden? Der fast schon so obsolet klingt wie »Datenautobahn« oder »globales Dorf«? Und was machen eigentlich der »Cyber-Sex« und der »Datenhandschuh«? Ich sag immer »Internet gucken«. Das klingt so schön arglos, so schön passiv. Einmal habe ich auch »im Internet schnorcheln« gesagt, aber diejenigen, die dabei waren, als ich das sagte, die fanden das nicht gut. Das würde so »gewollt witzig« klingen. Der Ausdruck »Internet gucken« stieß hingegen auf eine wohlwollende Jurybewertung. Vermutlich weil er »unfreiwillig komisch« klingt. Die Komik selber, das vermute ich mit Rücksicht auf meine Lebenserfahrung, wird in ihrer Qualität nicht davon beeinflußt, ob sie gewollt oder unfreiwillig ist. Ich erwähne dies, um das Vertrauen in Redewendungen zu erschüttern, wobei ich mir gewiß weder anmaßend noch skurril vorkomme. Sollte ich mich in meinem Urteil irren, vermute ich halt alternativ daß sich die Komik am wohlsten fühlt, wenn der Kenner sie als »gewollt unfreiwillig komisch klingend« analysieren kann.

Die Schule sei dazu da, Jugendliche zur Beschäftigung mit Dingen anzuhalten, denen sie sich zu Hause aus freien Stücken nicht zuwenden würden. Sie sei der Ort, wo man ihnen mit möglichst charmanter Autorität und ohne Schnarrstimme Wissen und Grundwerte unterjubelte. Sie sei eine gutherzige Zwingburg voll trotz manch kleiner Quälerei noch immer leuchtender Augen.
Man muß die Kinder triezen und anstacheln, damit sie selbständig denken, und zwar dermaßen selbständig, daß sie in der Aktion »Schulen ans Netz« die bloße Wirtschaftsförderung erkennen. Die Schüler sollten zu Kanzler Schröder laufen, ihm erklären, daß in fünf Jahren die Computer alle veraltet und kaputt sein würden, weshalb man im Unterricht nur noch an den heraushängenden Drähten ziehen und daraus Brezeln flechten werde, und daß in fünf Jahren ein neuer Kanzler regiere, welcher die Computer nicht ersetzen werde, weil er für die Internet-Ehrfurcht seines Vorgängers keine Verantwortung empfinde.

Sollte der Internet-Unterricht eingeführt werden. wird das zu Lasten klassischer Bildungsinhalte gehen. »Na gottseidank«, wird mancher Narr nun sagen. Ich hätte in meiner Schulzeit gern auf den Physikunterricht verzichtet, aber nur. weil ich den Lehrer nicht mochte. Er hatte eine Schnarrstimme.
Hätte er die nicht gehabt und gelegentlich, wie meine Chemielehrerin, eine Bluse mit Mohrrübenmuster getragen. wäre ich an Physik genauso interessiert gewesen wie an Chemie. Es lag bei mir immer hundertprozentig an der Lehrkraft. Die Fächer für sich waren alle wichtig und richtig. Es gab nichts, was man dem Internet hätte opfern sollen.
Am überzeugendsten waren immer die Lehrer, die in der Kulturtechnik Nr.1, dem Sprechen, gut bewandert waren. Diejenigen. die flüssig sprachen und keine Sprachmarotten hatten, die die Schüler bekicherten, statt sich am Lehrstoff zu weiden. Leider sprachen die meisten Lehrer häßlich. Es nimmt nicht wunder, daß der mündliche Ausdruck der Schüler im argen liegt, wenn schon die Lehrer nur grunzen und sabbern.

Man ist heute von schlechter Sprache umzingelt. Neulich erschrak ich fast zu Tode, als ich unerwarteterweise gute Sprache hörte. Vor einigen Monaten sah ich den Film »Million Dollar Hotel« von Wim Wenders. Ich war am Wegdämmern. denn es war schon zehn Minuten her, daß der Film begonnen hatte. Da schreckte ich hoch. Die Hauptdarstellerin hatte »etwas ergibt Sinn« gesagt. Ich dachte: »Wow, Wahnsinn. Wann preist mal endlich einer die phantastische deutsche Synchronarbeit?« Man hört im wirklichen Leben ja fast nur noch den primitiven Ubersetzungsanglizismus »etwas macht Sinn«, daß es einen richtig umhaut, wenn man mal wieder mit dem korrekten Ausdruck konfrontiert wird. Man muß heute in synchronisierte Filme gehen, um wenigstens für anderthalb Stunden dem allgemeinen Verwahrlosungssound zu entkommen. Kanzler Schröder und all die schrecklich vielen Menschen, die auch so sind wie er, sagen natürlich: »Etwas macht Sinn.«
Jemanden, der mit nicht ganz sauberen Fingernägeln vor einem steht, wird man normalerweise nicht kritisieren. Man wird ihm auch nicht die berufliche Laufbahn versauen. Ebensowenig wird man jemandem schaden wollen, der die Formulierung »macht Sinn« gebraucht.

Aber dennoch: Man hat es bemerkt. Die schmutzigen Fingernägel ebenso wie die unbedachte Formulierung. Denjenigen mit den Fingernägeln wird man, wie gesagt. nicht schädigen. aber eben auch nicht vorrangig berücksichtigen. wenn es darum geht, Hilfskräfte für das Zusammenlegen der blütenweißen Tischwäsche von Prinzessin Marie Astrid von Luxemburg zu rekrutieren. Wer »macht Sinn« sagt, wird respektiert und geachtet, aber seine Meinung zu bestimmten Fragen wird von einigen Leuten etwas weniger ernst genommen werden.
Gewiß, gewiß: Was sich einbürgert, wird irgendwann als korrekt gelten. So entwickelt sich Sprache. Ich weiß dies, so wahr mir Gott helfe und so sehr ich hier sitze. Bin ja Knowledgeworker von Hause aus. Doch es wär schade um das »Sinn ergeben«.

Das Wort »machen« kommt schon häufig genug vor in unserer Sprache. Liebe machen, die Wäsche machen, Essen machen, ja sogar Burger King machen -so sagen angeblich Immigrantenkinder, wenn sie Essen gehen wollen - , sauber machen, Abwasch machen, Frau Heinrich machen - »Ich mach mal Frau Heinrich«, sagt die Friseurin zu ihrer Kollegin, wenn sie ihr mitteilen möchte. daß sie nun der Kundin Heinrich die Haare zu machen sich anschickt -, Betten machen, Feuer machen, Internet machen - nein, Internet machen wir doch noch nicht. Wir gucken Internet. Weil es Sinn ergibt. Für etliche zumindest. (Auch mal interessant zu erwähnen: Im Wörterbuch wird etliche erklärt mit einige, manche. Im heutigen Sprachgebrauch wird es aber fast immer im Sinne von mehr als du denkst verwendet.)
Was gibt es denn noch außer dem Sprechen? Es gibt noch das Schreiben. Damit sieht es auch nicht gut aus. Kaum einer in Deutschland, der unter 60 ist, hat eine akzeptable Handschrift. Das allgegenwärtige Geschmiere ist gräßlich. Es ist ein deutscher Mangel.

In den USA, aber auch in Rußland haben wesentlich mehr junge Leute leserliche, manchmal sogar schöne Handschriften. Ich bitte alle Menschen, sich ein Blatt Papier zur Hand zu nehmen und mit der Hand die Wörter »Schulen nicht ans Netz« darauf zu schreiben, während dieser Tätigkeit die eigene schreibende Hand anzuschauen und gleichzeitig zu denken: »Ich beobachte soeben das Abnippeln einer jahrtausendealten Kulturtechnik am eigenen Leibe.«
Vielleicht könnte man die klassischen Kulturtechniken etwas auffrischen, bevor man die Schulen mit extrem veraltungsanfälligen Kästen vollstellt? Wer eine gute Allgemeinbildung hat, sich auch in Fremdsprachen gut ausdrücken kann, der wird mit dem Internet keine Schwierigkeiten haben. Wer nichts weiß und schlecht spricht, wird kaum in die Verlegenheit kommen, im Berufsleben seine Internetkenntnisse unter Beweis zu stellen.
Demnächst werde ich mich darüber freuen, daß es sowohl Liegen als auch Sitzen als auch Stehen gibt. Man könnte ja auch in einer Welt leben, in der es nur Liegen oder nur Stehen oder nur Sitzen gibt. Aber es gibt alles drei: Sitzen, Stehen und Liegen! Ist gut, oder?
Ich merke soeben: Ich freue mich schon jetzt. Ist auch gut. Dann brauche ich mich demnächst nicht mehr darüber zu freuen.

© 2001 Alexander Fest Verlag Berlin