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"Häusliche Hölle"
... In der volkstümlichen Musik Deutschlands ist längst zusammengewachsen, was sich nicht gehört.
Aber die singenden Provinzdeppen sind nicht mehr zu bremsen....
"junge Welt"
Montag, 10. Mai 1994 Nr.: 108
& rock´n roll (S.17)
Ein Bereich, in dem sich die deutsche Vereinigung schon mehr als uns je lieb sein kann vollzogen hat, ist die Gewichtsklasse der Volkstümlichen Musik. Man mag es glauben oder nicht, aber hier ist der Born der neuen (Zonen-)Hoffnungsträger.
Was für unverbesserliche Vollbartträger Jens "Sacred" Reich", ist für den Rest Stefanie Hertel, das singende, klingende Originalwunderkind aus den sächsisch vogtländischen Bergen. Dieses naive Neutrum schlägt in der Beliebtheitsskala die Leitbilder der Ewigzukurzgekommenen, wie Regine Hildebrandt, Meier 2 oder den V-Mann Klaus um Längen, spätestens seitdem es mit Liedern wie »Über jedes Bacherl geht a Brückerl« und »A Stückerl heile Welt« blitzkriegmäßig scheint´s, Sieger bei der »ZDF-Superhitparade der Volksmusik« der »Krone der Volksmusik und des »Grandprix der Volkssmusik 1992« werden konnte.
Nun, da die Heerscharen volkstümlicher Provinzdeppen nicht mehr zu bremsen sind, hat dieses Genre auch das Medium Fernsehen okkupiert; je nach Landstrich lokalkoloriert. Für Stefanie Hertels Heimat bedeutet dies zuallererst die »Wernersgrüner Musikantenschenke«, die der MDR aus einer gewölbten Leichtbauhalle ausstrahlt, deren Inneres den V-Waffenstollen gleicht wie ein Arsch dem anderen.
Die Archetypen solchen Fernsehtreibens wie Heinz Schenk, Carolin Reiber und Karl Moik stellt man hier längst schon mühelos in den Schatten. Bei Leuten, die ehedem auf die Puhdys und uns´ Helmut Kohl hereinfielen, ist der Boden bereits vorbereitet..
Die Phänomenologie des Grauens zeigt sich uns im Ablauf der volkstümlichen Veranstaltung.
Moderierendes (Ehe-)Paar, ein- und ausmarschierende, grausam trötende Blasorchester, formidable Rumpfmelodien mit Schunkelzwang und abschließendes Medley, gespielt von aufgepumpten Wesen, die die Bezeichnung »Musiker« als gröbste Beleidigung empfänden und daher »Musikanten« heißen. Es wird uns eine nicht mehr nur für zänkische Bergvölker charakteristische, grenzenlose Beschränktheit vorgeführt. Nein, da stimmt uns auch die Tatsache, daß man sich in Wernesgrün auf das Brauen eines weithin berühmten Bieres versteht, kaum versöhnlicher.
"Es soll ja gar nicht echt aussehen, kaum versöhnlicher, die Taschen voll, und Ihr findet das auch noch nett und adrett, resch und fesch.« Das virulente Hoppla-heute-sind-wir-aber-lustig-Gefühl evoziert den Eindruck; als gehe es vor den Kameras zu wie Sodom & Gonorrhoe.
In Gegenden wie dem Vogtland, wo der »Fremdenverkehr« den Transmissionsriemen für den Aufschwung (Ost) vorstellen soll, macht sich die Rache der Provinzialität breit (Stadt = böse, Dorf = lieb, schön, natürlich, kurz: gemütlich). »Ihr könnt uns ruhig doof finden, sogar sehr doof, aber wir machen Reibach und lachen Euch so was von aus, daß es schon nicht mehr schön ist«, glauben wir in den aufgeblähten Musikantengesichtern lesen zu können.
Gerade in der »Wernesgrüner Musikantenschenke«, diesem Kreißsaal zerebraler Fehlgeburten, einer Mischung aus Mitropa, Bauernhof und Feldgottesdienst, haben die Mädchen »viel Holz vor der Hütte« und die Buben skrotumbetonte Lederhosen, werden Cellulitis und Bartflechte zum Schönheitsideal für den ostdeutschen Volksgenossen.
Dort ist die normative Kraft von verklemmten Schweinereien und unverhohlenen Rassismen, ist die Purifikation hin zu einer aseptischen, gänzlich humor- und verstandfreien Welt voller Grinsmonster mit Fähnleinführergemüt und Handgelenktaschencharme wie kein zweites Mal so deutlich.
Dort, im Vogtland ist der Ursprung der neuen, nun auch ostdeutschen Fernsehgemütlichkeits- und Verblödungsindustrie, jenes Stückerl apokryphe Welt, wo über jedes Brückerl a Bacherl geht, wo »tausend kleine Himmel« sind und mit dem Begriff »Polizei«. nur notdürftig umschriebene Bergmilizen mit stark zurückgenommener Intelligenz und dezentem Schuppenwurf patrouillieren und alles Fremde, Nichtgemütliche abhalten.
In diesem »Stückerl heile Welt« also, wo Stefanie Hertel ungestraft sich wünschen darf:
»Wenn ich groß bin, kauf´ ich mir ein Akkordeon und einen (Original-)Teddy, der jodeln kann«, da wird die Hölle die Seelen nicht rufen müssen, da nämlich, sind sie bereits.
Michael Rudolf
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