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"Der Öko-Knigge"


Rainer Grieshammer

... Auf meiner ersten Wanderung durch das Fjordland fragte ich einen Neuseeländer, ob ich das Wasser aus einem vorbeifließenden Bach trinken könne.
Er musterte mich zweifelnd und gab zur Antwort: " Wollen Sie es etwa essen ?"
Für ihn war es natürlich, das Wasser in ausreichender Menge und in bester Qualität zur Verfügung stand.
Erst meine Schilderungen aus dem fernen Deutschland stimmten ihn nachdenklich ...


Die Eine Glosse aus dem schweizerischen Tagesanzeiger (26.9.1981), umgeschrieben auf bundesrepublikanische Verhältnisse.

Es war an einem schönen Oktobertag im Jahre 1983, ein Tag wie jeder andere: Auf der Welt verhungerten an diesem Tag über 35000 Kinder, für die Rüstung wurden mehr als 3 Milliarden DM ausgegeben. In der Bundesrepublik erkrankten 10000000 Waldbäume neu, und der Rhein führte 30000 Tonnen Salz, 3 Tonnen Arsen und 450 Kilogramm Quecksilber über die holländische Grenze.
In Rotterdam fand ein Wassertribunal statt, auf dem die europäischen Umweltschutzorganisationen die Chemie-Fabriken in West und Ost anklagten, die Gewässer zu verschmutzen. In den Zeitungen erschienen ausführliche Berichte über das Wassertribunal, meist unter der Rubrik "Aus aller Welt". Schließlich haben vor allem die Niederländer große Probleme mit ihrer Wasserversorgung und nicht so sehr die Deutschen. Aber das sollte sich an diesem Tag ändern.

Am Abend gab es ein kleines weltpolitisches Versehen: Die Amerikaner und die Sowjets führten gleichzeitig unterirdische Atombombenversuche durch, und die Franzosen zündeten im Pazifik ihre bisher größte Atombombe. Es gab ein kleineres Erdbeben und eine größere Flutwelle im Meer. Sonst war nichts geschehen. Lediglich der Rhein floß an diesem Tag aufwärts.
Die Rotterdamer schauten erstaunt auf die breite Flußmündung. Das Wasser war nicht mehr stinkig braun, sondern frisch, und im einströmenden Meerwasser konnte man erstmals wieder Fische ohne Krebsgeschwülste erkennen.
Der Druck des zurückfließenden Rheinwassers war so daß auch das Wasser der Nebenflüsse und das Abwasser der vielen Kanalisationen und Einleitungsrohre sich umkehrte. Zurück zu den Anfängen.
Das Klärwerk Emschermündung drohte zu platzen, und erst als der Klärwärter im letzten Augenblick die Klappen hochzog, schoß die braune Flut weiter und zurück in die Haushalte und Betriebe des Ruhrgebiets.

Gurgelnd wälzte sich das Abwasser durch die Kanalisation in jedes Haus, schoß durch die Spülsteine und die geöffneten Waschmaschinen, und in jedem Haushalt starrten die Menschen entsetzt auf den Unrat, den ihnen die Natur vor die Füße schwemmte: das Toilettenwasser, dazwischen ölige Flecke von Lösungsmitteln, halb aufgebrauchte Arzneimittel, Waschmittelschäume, Zigarettenkippen, Küchenabfälle, Spülmittel und kleine glänzende Quecksilberkügelchen aus zerbrochenen Fieberthermometern.
Es war eine einzige Katastrophe, und auch die Weichspüler und Glanztrockner konnten daran nichts ändern.
Der Bayer AG in Leverkusen, Dormagen und Uerdingen erging es nicht besser. Auch bei der BASF in Ludwigshafen sah es übel aus, wenngleich das Wasser mit den Farbstoffen immerhin hübsch gefärbt war.

Bei den größten Abwassereinleitern war die Hölle los. Bei den Zellstoffabriken Maxau und Mannheim platzten die Rohre, und Millionen von Kubikmeter stinkiger Abwässer mit Sulfid und organischen Stoffen ergossen sich über die sauberen Westen der Fabrikherren.
Am nächsten Tag hatte sich die Natur wieder beruhigt. Der Rhein floß wieder in die richtige Richtung, die Reinigungsmittel in den Geschäften wurden in einem einzigen Ansturm leergekauft, und die Amerikaner und Sowjets beteuerten ihren Abrüstungswillen.
Auf der Welt verhungerten wieder über 35000 Kinder, für die Rüstung wurden mehr als 3 Milliarden DM ausgegeben. In der Bundesrepublik erkrankten 1 000 000 Waldbäume neu, und der Rhein führte 30 000 Tonnen Salz, 3 Tonnen Arsen und 450 Kilogramm Quecksilber über die holländische Grenze.
Es war wieder ein Tag wie jeder andere.

"Der Öko-Knigge"
Rainer Grieshammer

38.-44. Tausend März 1990
Veröffentlicht im Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH
Reinbeck bei Hamburg, Oktober 1987
© 1984 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbeck bei Hamburg
Umschlagentwurf Manfred Waller
Nach einer Zeichnung von Franziska Becker

Printed in Germany
980-ISBN 3 499 18351 X