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"Die PowerPoint-Pest"
Kein Zweifel, dass Computer nützlich sein können, doch wie groß ist der Segen der schönen neuen Datenwelt wirklich?
Clifford Stoll, Internet-Guru und Autor der Bestseller "Kuckucksei" und "Die Wüste Internet" liefert mit seinem neuen Buch einen ebenso kritischen, wie unterhaltsamen Beitrag zu einem Thema, bei dem unüberlegter Optimismus weit verbreitet ist.
Sie haben noch keinen PowerPoint-Vortrag gehört? Stellen Sie sich zunächst einen langweiligen Diavortrag vor. Nun denken Sie sich einen Haufen simpler, nichts sagender akustischer und optischer Feuerwerke dazu. Das ist PowerPoint: ein langweiliger Diavortrag, ergänzt mit belanglosen Knalleffekten.
Vor zehn Jahren galten solche Graphikshows mit dem Computer noch als avantgardistisch. Heute ist das ein alter Hut. PowerPoint ist der Feind jeden guten Vertrags. Software für Vorträge und Präsentationen läuft unter verschiedenen Namen: PowerPoint, Persuasion, Präsentation oder Freelance. Sie wird als das A und O angepriesen, wenn man seine Zuhörer erreichen will, und sie wird überall verwendet: bei Fachvorträgen, von Verkäufern, Ausbildern, Rechtsanwälten und natürlich Politikern.
Mit diesen Programmen kann jeder Overheadfolien oder Videofilmchen herstellen - mit allem: Clipart-Bildchen, phantasievollem Hintergrund und farbenprächtigen Schaubildern. Ihr Publikum kann den direkt vom Computerbildschirm an die Wand projizierten Text ablaufen sehen - begleitet von animierten Geistergestalten und auf und ab tanzenden Firmenlogos.
Von früher ist man gewohnt, dass ein Redner vor seinem Publikum steht, sich durch seinen Vortrag stottert, Stichworte von Merkzettelchen abliest und gelegentlich eine Folie auflegt. Die Zuhörer schreiben mit - und versuchen, das Gähnen zu unterdrücken.
Durch das Zusammenspiel von PC, Videoproiektion und Laserdrucker hat sich das alles geändert. Heute fummelt der Vortragende mit einem Computer herum, stellt den Protektor ein und dreht an den Reglern für das Mikrophon. Er drückt ein paar Tasten, und schon erscheint an der Wand das Computerdisplay in perfektem Design. Neue Schaubilder und mit fetten Punkten oder Sternchen markierte Merksätze tauchen per Mausklick auf. Die Zuhörer, genauer: die Zuschauer, haben schon vorher Kopien der Show bekommen, sie lesen die Texte mit - und versuchen, das Gähnen zu unterdrücken.
Fast niemand redet gern vor Publikum. Technikfans, die den Umgang mit Computern mehr gewöhnt sind als den mit Menschen, sind da besonders scheu. Deshalb sind sie natürlich von allem begeistert, was sie vor einer solchen Erfahrung schützt. Was das Reden in der Öffentlichkeit betrifft, ist PowerPoint die Wahl der Feiglinge.
Früher waren es kleine Schwächen oder das Erzählen von Anekdoten und ein paar Späße, die den Redner dem Publikum sympathisch machten. Heute starren die Zuhörer entweder auf die Videoprojektionen oder lesen in dem verteilten Material. Der Vortragende selbst hinter seinem Pult ist nebensächliches Zubehör. Nicht, dass das den Vortragenden groß kümmert: Er ist viel zu beschäftigt mit seinen Tasten und der Überwachung des Bildschirms. Mit dem Rücken zum Publikum weiß der Redner so gut wie der Zuhörer, was das nächste Bildchen zeigen wird. Sollte er eine Zeile im Text auslassen oder vom Thema abschweifen, so wird ihn das ablaufende Programm schnell wieder zum vorbereiteten Ablauf zurückführen.
Das Ergebnis ist ein vorhersagbarer, vorprogrammierter Vortrag ohne jegliche menschliche Komponente. Das Publikum könnte genauso gut eine Videoaufzeichnung anschauen.
Nun sind Kongresse bekannt dafür, dass sie langweilig sind, und alles, was Bewegung hineinbringen könnte, wäre willkommen. Aber PowerPoint und ähnliche Programme sind dazu verdammt, Kongresse noch langweiliger zu machen.
Vorausgesetzt, dass überhaupt die Elektronik funktioniert! Wenn der Computer hängt, die Software abstürzt oder der Videoprojektor seinen Geist aufgibt, ist der Redner geliefert. Er wird wahrscheinlich mit den Kabeln herumwerkeln oder einen Techniker rufen, was viele Minuten kostet und ihn völlig aus der Bahn wirft. Ich war oft genug dabei, wenn solche Dinge passierten.
Nun bewundere ich durchaus die technischen Möglichkeiten solcher Programme. Wenn alle Verbindungen "stehen", kann man Links zu einer Website einbauen oder graphische Darstellungen ausdrucken lassen. Man kann Toneffekte, Cartoons oder kleine Bildchen einbauen -aber eigentlich sind die hundert Leute gekommen, um einen Redner zu hören, nicht um an einer Light-and-Sound-Show teilzunehmen.
Was motiviert Zuhörer? Emotionen, Leidenschaft, Feuer, Aufregung, Anteilnahme. Ein Kongress, der von PowerPoint-Vorträgen bestimmt wird, bietet kalte vorprogrammierte Videobilder. Man sieht Kurven, Zahlen und Stichwortlisten. Aber mit tanzenden Kobolden und aufblitzenden Logos gewinnt man weder Anhänger noch kann man Empörung hervorrufen oder Revolutionen anzetteln.
Die computererzeugten Schaubilder ziehen das Publikum ganz in den Bann. Statt dem Redner zuzusehen, starren alle auf Schrifttypen und Animationen. Es sind ja schon "Handouts" verteilt, so muss sich auch niemand Notizen machen oder darauf achten, was wichtig ist. Weil alles auf der Leinwand und in den Handouts zu finden ist, gibt es eigentlich keinen Grund, überhaupt zuzuhören.
Später erinnern wir uns an die Veranstaltung als Ganzes, nicht an eine Schrifttype oder ein Logo. Wir würden uns gern mit dem Redner auseinander setzen, aber es ist schwer, ihn hinter den sterilen Computergraphiken überhaupt noch zu finden. Wann haben Sie zuletzt eine Multimedia-Show gesehen, die Sie zu etwas angeregt hat? Wann war der letzte Kongress, auf dem Sie gesagt haben, "Hey, ich bin beeindruckt von diesen tollen Graphiken"?
Ich stelle mir Abraham Lincoln in Gettysburg vor, wie er mit seinem Videoprojektor und dem PowerPoint-Programm ganz groß herauskommt. Er würde eine Graphik mit 87 Kalenderblättern zeigen, die in eine Animation von Washingtons Überquerung des Delaware-Flusses übergehen. Fett hervorgehoben würde er die Highlights an die Wand projizieren: "eine neue Nation", "im Schoße der Freiheit empfangen" und "alle Menschen sind gleich geschaffen".
Wenn PowerPoint nur auf Kongresse für Computerleute beschränkt wäre, würden auch nur Techies in Schlaf versetzt werden. Aber es taucht nun auch in Schulen auf. Ich war bei einer Schulstunde über amerikanische Geschichte dabei und wurde von PowerPoint eingelullt. Die Schüler der High School saßen mit glasigen Augen da, als ihr Lehrer den Text vorlas, der auf der Leinwand abgespult wurde. "Warren Harding war der 29. Präsident der Vereinigten Staaten. Er wurde in Blooming Grove bei Corsica, Ohio, geboren. Die fünf wichtigsten Merkmale seiner Regierungszeit waren ..." Einfach tödlich.
Die Kinder, die sich auf diese neue Methode einlassen (müssen), schlaffen bald ab. Ein Schüler der High School von Wilsonville, Oregon, schreibt - mit kleinen grammatikalischen Mängeln: "Ich hab mich nicht viel um einen Vortrag geschissen, den ich vor der Klasse halten sollte. Hab aber 'ne gute Note gekriegt, weil er mit PowerPoint lief, was zu machen mich 'ne halbe Stunde gekostet hat. Andere in der Klasse haben sich die Köpfe zermartert, um ihren Vortrag auswendig zu lernen, und ich steh einfach da und les vor, was gerade auf die Leinwand projiziert wird."
Es scheint ganz so, als wenn PowerPoint-Shows das Rennen machen, aber sie werden genauso wichtig sein (oder nicht) und genauso interessant (oder nicht) wie die guten alten Diavorträge.
Wollen Sie mit ihrem nächsten Vortrag Furore machen? Dann schauen Sie, dass Sie den Stoff so gut beherrschen, dass Sie frei sprechen können - ohne Computer, ohne Leuchtzeiger, ohne Videoprojektor. Schreiben Sie die wichtigsten Punkte mit Kreide an die Tafel und betonen Sie sie beim Vortrag. Schauen Sie Ihr Publikum an und nicht den Computerbildschirm.
Vergessen Sie jene trostlosen Clipart-Bildchen und die Klischees von der explosionsartigen Entwicklung der Technologie, der Herausforderung durch die Zukunft und der Krise der Pädagogik. Lassen Sie Ihre Stimme hören, führen Sie Ihre Ideen vor - und nicht fertige Schablonen von irgend jemand anderem. Setzen Sie die Leute mit Ihren Geschichten in Erstaunen, reißen Sie sie mit Ihren Erfahrungen hin, zeigen Sie Ihre Brillanz und überzeugen Sie mit Ihrer Leidenschaft, seien Sie aufgeregt und voll Begeisterung. Machen Sie alles - aber langweilen Sie niemand mit noch einer weiteren Präsentation von Computergraphiken.
Ich muss noch die Evangelical Church of PowerPoint erwähnen! In St. John's, der lutheranischen Kirche von Oxnard, California, ist für die Gläubigen über dem Altar eine Leinwand für Videoprojektionen angebracht. Von einem 32-Kanal-Sound-System begleitet, werden mit PowerPoint Karikaturen im Stil von Picasso auf die Leinwand geworfen - dazu die wichtigsten Punkte der Predigt. Man kann auch Videoclips aus dem Internet projizieren, die an das Potluck-Dinner nächste Woche erinnern. Das ganze System, das 160 000 Dollar gekostet hat, spart im Übrigen auch noch einige hundert Dollar für Gesangbücher ein.
Nun handelt es sich hier nicht um eine New-Age-Kirche - St. John's ist Mitglied der konservativen Lutheran Missouri Synod. Und es ist auch kein einmaliger Fall von Dummheit: Andere Kirche sind ganz eifrig dabei, computergesteuerte Videosysteme zu installieren, beispielsweise auch die Camarillo Jubilee Church. Pfarrer Mark Beyer von St. John's verkündet, mit der Videoprojektion seiner Predigt könne er Augen und Ohren der Kirchengemeinde erreichen. "Wir verwenden eben Mittel, die modern sind", sagt er, "ich würde auch Gerüche übertragen, wenn man das könnte."
Das mächtigste Mittel ist heute das Internet: Ob wohl Pfarrer Beyer eine Website entwickeln wird, wo man mit einem Klick auf ein Icon ganz ohne Anstrengung zur Erleuchtung gelangen kann? Man erspart sich dann natürlich den Weg zur Kirche. An einem Sonntag forderte Pfarrer Beyer seine Gemeinde auf, die Hände zu heben und Gott zu lobpreisen. Dann drehte er sich zum Altar und richtete gemeinsam mit seiner Gemeinde den Blick auf das riesige Computerdisplay. Wäre Gott so voll Zorn gewesen wie zu Zeiten des Propheten Daniel, hätte er ein Cookie mit "Mene Mene Tekel Upharsin" eingeblendet. Statt dessen antwortete die angebetete PowerPoint-Leinwand den bekümmerten Seelen mit der einprogrammierten Botschaft aus dem 97. Psalm: "Denn Du HERR bist der Höchste in allen Landen. Du bist sehr erhöhet über alle Götter."
Die amerikanische Originalausgabe erschien 1999 unter dem Titel
"High-Tech Heretic. Why Computers Don't Belong in the Classroom and Other Reflections by a Computer Contrarian"
im Verlag Doubleday,New York
© 1999 Clifford Stoll
Deutsche Ausgabe:
© 2001 S. Fischer Verlag GmbH,
Frankfurt am Main /Alle Rechte vorbehalten
Umschlaggestaltung: +malsy, Bremen Umschlagabbildung: Maggie Hallahan/Dobleday Satz: S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main
Druck und Bindung: Clausen & Bosse,
Leck Printed in Germany
ISBN 3-10-040220-0
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