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"Adolf Superstar"
Nachschlag:
von Wolfgang Schaller
Feng-Shui soll Hitlers bösen Geist vertreiben, titelte diese Woche unsere BILDendste Zeitung, aber die chinesischen Beschwörungsmeister geben ihre bedingungslose Kapitulation bekannt. Aus allen Zeitungen, Leinwänden und Talkrunden überfällt uns der Führer mit seinen Heerscharen, als überdauere sein mystisches Reich tatsächlich tausend Jahre.
So viel Hitler war nicht mal im realen Untergang. Mich wunderte es nicht, würde Eichinger nun einen Film über Hitlers erste zwölf Tage produzieren, in dem ein letzter alzheimelnder Zeitzeuge beurkundet, Adolf habe als Baby wie ein Baby ausgesehen, worauf ein Historikerstreit ausbricht, ob Hitler als Kind ein Mensch war. Erst einmal aber durften wir im Reichskanzleibunker beschämend erleben, wie der Führer selbst angesichts des beschlossenen Exitus noch Hund und Sekretärin schelmisch zublinzelt, während wir Weicheier heute schon jammern, wenn uns Hartz in die Zwangsarbeit treibt. Wenn wir uns am Kuchen sabbernden Diktator satt gesehen haben, empfängt uns, falls wir uns flugs beeilen, zu Hause im Fernseher noch ein zweiteiliger Goebbels, in dem uns dankenswerterweise ein Zeuge aufklärt, der Propagandaminister habe stets adrette Anzüge getragen. Hitler und die Frauen, Hitler und sein Hund, Hitler und sein Blinddarm.
Und wenn wir dann das ganze Guido-Knopp-Kamasutra von Hitlers erotischen und anderen Blähungen abgearbeitet haben, bleibt nur enttäuschtes Staunen, dass es am sonst bei allen Pop-Ikonen üblichen Merchandising noch hapert: Schokoladene Hitlerkugeln à la Mozart, vergoldete Albert-Speerspitzen oder Goebbelssche handbemalte Porzellanengel im Sechserpack mit Giftampulle würden das Geschäft mit dem TV-Nazikitsch belebend ergänzen. Warum nicht? Wenn mich aus Moskaus Souvenirbuden Bin-Laden- und Sadam-Hussein-Matrjoschkas anstrahlten, können schließlich auch wir endlich mit unseren eigenen Massenmördern spielend umgehen, oder, wie es politisch korrekt heißt, den Umgang mit unserer Geschichte normalisieren. Geschichte, spannend wie ein Tatort. Wie ein Täterort. Jedenfalls Geschichte, die man gern sieht. Vor lauter Normalität glaubt BDI-Chef Rogowski, dass die NPD im Landesparlament ausländische Investoren nicht abschrecken werde, und auch mein neuer Bundespräsident sieht keinen Grund zur Panik. Mir aber graust, wenn die Zehnerriege mit dem Slogan "Heute gehört uns Sachsen" in den Landtag einmarschiert, denn ich gehöre einer Generation an, die die zweite Zeile des Originalliedes noch kennt: Und morgen die ganze Welt.
Ich bin nicht so tief überzeugt, dass bei steigenden sozialen Spannungen die Herde nicht wieder nach dem starken Leithammel rufen wird. So wie sie vor Jahren einer Kochmütze folgend durch Hessens Fußgängerzone irrte: "Wo kann man denn hier gegen Ausländer unterschreiben!?", hätte sie auch diesmal am Stoiber/Merkelschen Stammtisch ihrer Angst Luft gemacht, ganz Deutschland könne bald getürkt sein. Wäre Volksverdummung ein Verbrechen, wie viele Politiker wären da vorbestraft? Mit geistiger Brandstiftung kann man heute schon wieder Wahlen gewinnen.
Ein Aufschrei ging durchs Land, als der Amerikaner Goldhagen die Deutschen "Hitlers willige Vollstrecker" nannte, als hätten wir in unserer Geschichte nur Richter und Henker. Nein, wir hatten auch Goethe und Schiller. Nur dass das deutsche Volk seinen Dichtern und Denkern nie nachgelaufen ist.
Es war der deutsche Untertanengeist, der die Verbrechen der Nazis möglich machte. Ein biederer Hausmeister an der Münchner Uni hatte einst die Geschwister Scholl ans Messer geliefert.
"Wenn die Deutschen so sehr zur geistlosen, mitlaufenden Masse geworden sind, können sie sich nicht freisprechen: Ein jeder ist schuldig, schuldig, schuldig!" stand auf einem Flugblatt der Weißen Rose. Man hätte dieses Flugblatt in die sächsischen Wahlkabinen legen sollen. Als Warnung an jene, die nur mal so aus Protest und ganz unschuldig aus der braunen Kloschüssel essen, nur weil ihnen auf der Speisekarte nichts schmeckt. Aber Scholl und Schuld wäre für Eichinger & Knopp vielleicht kein so quotenträchtiges Sujet. Es würde sich nicht rechnen.
Quelle:
Sächsische Zeitung
Samstag, 30. Oktober 2004
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