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"Ahasver"


Stefan Heym

26. Kapitel

Worin der Rabbi und der Ahasver sich auf die Suche nach Gott begeben und nach manchen Fährnissen einem Alten begegnen, der das Geheimnis des siebenfach versiegelten Buchs des
Lebens kennt und den Rabbi zu unbedachtem Widerspruch herausfordert.



Wir suchen.

Ich, Ahasver, schritt zur Linken des Rabbi vierzig Tage und Nächte, da wir auf der Suche waren nach GOtt. Der aber versagte sich uns, und um uns war Wüste und Leere und das fahle Grau des Sheol, in dem alles verschwimmt und verschwindet. Und der Rabbi war voller Furcht und Zagen und sprach zu mir: Wer sind wir, daß wir hadern mit GOtt Und unsre Maßstäbe anlegen wollen an Seinen Ratschluß? Er ist der Ursprung und das Ende, Er war vor der Zeit und wird nach ihr noch sein, und Seine Macht ist ohne Grenzen.
Ich aber sagte: Was jedoch wäre GOtt ohne uns? Ein Ruf ohne Widerhall, eine Kraft ohne Wirkung, ein Prinzip ohne Praxis. Und da wir wiederum vierzig Tage und Nächte gegangen waren auf der Suche nach Ihm, fragte der Rabbi: Wenn es aber nun so wäre, daß es Ihn gar nicht gibt? Daß die Welt und wir selbst nur ein Traum gewesen von Anbeginn an, der zerrinnen wird wie ein Nebel im Winde? Rabbi, erwiderte ich, der Glaube, der Berge versetzt, schafft auch die Berge; du mußt nur tüchtig glauben, dann wirst du den Vater auch finden.

Und siehe, da wich das Grau vor unseren Augen, und ein Licht erstrahlte, das erleuchtete unsern Weg, und ein Palast erhob sich am Ende des Weges, der war aus Gold und Silber und Zedernholz, alles höchst kostbar gearbeitet, und vor den sieben Toren des Palastes standen sieben gepanzerte Wächter, die trugen jeder ein flammendes Schwert; der Rabbi aber trat durch das siebente Tor in die siebente Halle, in welcher ein Thron stand aus Edelsteinen, die in allen Farben der Welt schillerten, und auf dem Thron saß Einer, der war gekleidet in schimmernde Seide und war schön wie ein Engel, mit lockigem Haar und mit beringten Fingern, und sprach: Ich bin der König der Könige, und ich habe dich längst schon erwartet, mein Sohn.
Rabbi, sagte ich, wenn der da dein Vater ist, sprich zu ihm. Der Rabbi aber sagte: Dieser bedeutet mir nichts. Da verdunkelte Zorn das Antlitz des Königs der Könige, und seine sieben Wächter kamen und ergriffen den Rabbi und wiesen ihn hinaus aus dem siebenten Tor in die Wüste.

Das Licht aber erleuchtete unseren Weg, und am Ende des Wegs erhob sich ein Tempel, welcher noch prächtiger war als der Palast des Königs der Könige und noch mehr Gold und Silber und Zedernholz zur Schau trug als dieser, der noch kostbarer gearbeitet war, und in den sieben Höfen des Tempels zelebrierten vor sieben Altären sieben heilige Priester, die hielten jeder eine flammende Opferschale; der Rabbi aber trat durch den siebenten Hof in die siebente Kammer, die gefüllt war mit Weihrauch und teuren Wohlgerüchen und mit Kultgeräten aus Edelsteinen, die in allen Farben der Welt schillerten, und in der Kammer stand Einer, der war ganz in Weiß gekleidet und hatte um sein Haupt einen großen Glanz, und sprach: Ich bin der Heiligste der Heiligen, und ich habe dich längst schon erwartet, mein Sohn.
Rabbi, sagte ich wieder, wenn der da dein Vater ist, sprich zu ihm. Der Rabbi aber sagte: Dieser bedeutet mir auch nichts. Da verzerrte der Zorn die Miene des Heiligsten der Heiligen, und seine sieben Priester kamen und ergriffen den Rabbi und wiesen ihn hinaus aus dem siebenten Hof in die Wüste. Der Weg aber, den uns das Licht erleuchtete, wurde schmaler und steiler, und Abgründe taten sich auf zu seinen Seiten; am Ende des Weges aber lag ein Stein, auf dem saß Einer, der war sehr alt und hielt in der Hand einen Stab und schrieb Zeichen in den Sand zu seinen Füßen mit der Spitze des Stabes.

Und ich sagte ein drittes Mal: Rabbi, wenn der da dein Vater ist, sprich zu ihm. Der Rabbi aber neigte sich nieder zu dem Schreibenden und fragte:
Was tust du da, Alter?
Der jedoch sagte, ohne sich stören zu lassen bei seiner Arbeit: Siehst du nicht, daß ich das siebenfach versiegelte Buch des Lebens schreibe, mein Sohn?
Aber du schreibst es in den Sand, sagte der Rabbi, und ein Wind wird kommen und alles verwehen. Genau das, erwiderte der Alte, ist das Geheimnis des Buches. Da erbleichte der Rabbi und erschrak sehr, doch dann sprach er: Du bist der, der die Welt schuf aus dem Wüsten und Leeren, mit Tag und Nacht und Himmel und Erde und Wassern und allem Gewürm.
Der bin ich, sagte der Alte.
Und am sechsten Tag, fuhr der Rabbi fort, erschufst du in deinem Bilde den Menschen.
Auch dieses tat ich, sagte der Alte.
Und nun soll's alles sein, als wär's nie gewesen, fragte der Rabbi, eine flüchtige Spur, die mein Fuß verwischt? Da legte der Alte den Stab beiseite und schrieb nicht mehr weiter, sondern wiegte sein Haupt und sagte: Einst war auch ich voller Eifer und Glauben, mein Junge, und liebte mein Volk oder zürnte ihm, je nachdem, und entsandte ihm Flut und Feuer und Engel und Propheten und schließlich gar dich selbst, meinen einzigen Sohn.
Du siehst, was daraus geworden.

Ein stinkender Sumpf, in dem alles, was lebt, nur danach trachtet, einander zu fressen, sagte der Rabbi, ein Reich des Grauens, in dem alle Ordnung nur dazu dient, zu zerstören.
Mein Sohn, sagte der Alte, ich weiß.
Aber HErr, wandte der Rabbi ein, liegt's nicht in Deiner Hand, den Sumpf zu trocknen und die Ordnung zu ändern?
Der Alte schwieg.
HErr, sagte der Rabbi, Du hast verlauten lassen durch den Mund Deines Propheten, Du wolltest einen neuen Himmel schaffen und eine neue Erde, daß man der vorigen nicht mehr gedenken werde. Und Du hast ferner geredet durch einen andern Deiner Propheten und den Menschen verkünden lassen. Du wolltest das steinerne Herz aus ihrem Fleisch wegnehmen und ihnen ein neues Herz und einen neuen Geist 'eingeben. HErr, ich frage Dich: wann? Wann?
Da wandte der Alte den Kopf und blickte auf zu seinem Sohn, schräg von unten her, und sprach: Ich habe die Welt erschaffen und den Menschen, aber einmal da, entwickelt ein Jegliches seine eignen Gesetze, und aus Ja wird Nein und aus Nein wird Ja, bis nichts mehr ist, wie es war, und die Welt, die GOtt schuf, nicht mehr erkennbar selbst dem Auge ihres Schöpfers. Du gestehst also, sagte der Rabbi, die Vergeblichkeit Deines Tuns, HErr?

Ich schreibe in den Sand, sagte Alte, ist das nicht genug?
Da empörte sich der Rabbi und sprach: Warum trittst Du dann nicht ab, HErr, denn wer so versagt wie Du, der sollte sich nicht an Macht klammem wollen. Und du wirst es schlauer anstellen? fragte der Alte. Du, der du dich ans Kreuz hast schlagen lassen, statt aufzustehen und dich zu erheben gegen das Unrecht?
Ach, mein Kleiner, hat der dort, der Ahasver, dich angestiftet zu deinen aufrührerischen Reden?
Der Rabbi aber packte den Alten bei dessen Gewände und zerrte ihn von dem Stein, auf dem er gesessen, und riß ihn hoch und schüttelte ihn mit großer Kraft und rief, nun sei's genug der Geduld und des Leidens, und wer sei's denn gewesen, der ihn in den Tod am Kreuze getrieben, für nichts und wieder nichts, und besser wär's wohl, statt abzuwarten, bis diese Welt sich selber zum Teufel sprengte, man sammelte alle Gewalten, selbst die der Hölle, gegen diesen GOtt, dem die eigne Schöpfung entglitten, und vereinte Christ wie Antichrist zum Sturm auf die sieben Himmel, die sich da wölbten über dem Schlangennest und der ungeheuren Fäulnis.

Da verzog sich das Gesicht des Alten, und ein bitteres Lächeln formte sich auf seinen Lippen, und es kamen sieben greise Engel mit schütteren Bärten und zerschlissenen Flügeln, die trugen jeder im Arm eine zerbeulte, rostige Posaune und bliesen darauf und nahmen den Rabbi bei der Hand und wiesen ihn fort, hin zu seinem Thron in der Höhe, GOtt, aber wandte sich mir, Ahasver, zu und sagte. Er hätte Gescheiteres von mir erwartet; dem Jungen sei nicht zu trauen, er werde's doch wieder falsch machen.


Quelle:

"Ahasver" Stefan Heym

Lizenzausgabe mit freundlicher Genehmigung
des Buchverlages Der Morgen, Berlin
© Stefan Heym

Die Roman-Zeitung erscheint monatlich
Heft 5/1990 (482)
Redaktion: Glinkastr. 13-15, Berlin 1086
Verlag Volk und Welt
Redakteur: H. D. Tschörtner (328.)
Umschlag: Angelika Rößler
Gesamtherstellung:
Druckzentrum Berlin - Graphischer Großbetrieb
Artikel Nr.: (EDV) 22538