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"Die Schöne und das Tier"
J. M. Leprince de Beaumont
Deutsch von Marie Vanickova
Es war einmal ein sehr reicher Kaufmann, der hatte sechs Kinder, drei Jungen und drei Mädchen. Er scheute keine Kosten für ihre Erziehung und ließ sie von allen möglichen Lehrern unterrichten.
Die Töchter waren alle sehr schön, aber am meisten bewundert wurde die jüngste; als sie noch klein war, nannte man sie die Schöne. Dieser Name blieb ihr auch später und machte ihre Schwestern auf sie eifersüchtig. Das junge Mädchen war nicht nur schöner als ihre Schwestern, sie war auch besser. Die beiden älteren waren hochmütig und stolz auf ihren Reichtum; sie taten wie große Damen und wollten nicht mit den übrigen Kaufmannstöchtern spielen. Täglich gingen sie tanzen, ins Theater oder spazieren und machten sich über die Kleine lustig, die fast immer über den Büchern saß und las. Da man allgemein wußte, wie reich die Mädchen waren, meldeten sich viele wohlhabende Kaufleute als Freier, aber die beiden älteren erklärten, sie wollten lieber gar nicht heiraten, wenn sich nicht ein Herzog oder zumindest ein Graf für sie fände. Die Schöne (wie ich schon sagte, war das der Name der Jüngsten), die Schöne also dankte ihren Freiem höflich, antwortete aber, sie sei noch zu jung und wollte noch einige Jahre bei ihrem Vater bleiben.
Plötzlich verlor der Kaufmann sein ganzes Vermögen, und es blieb ihm nichts übrig als ein kleines Landhaus, weit jenseits der Stadt. Weinend erklärte er seinen Kindern, sie müßten alle in dieses Haus übersiedeln und wie die Bauern auf dem Feld arbeiten. Die beiden älteren Töchter weigerten sich heftig, die Stadt zu verlassen, und sagten, es gäbe genug junge Männer, die sie mit Freuden heiraten würden, auch wenn sie kein Geld hatten. Die lieben Mädchen irrten sich aber gewaltig; kein junger Mann würdigte sie mehr eines Blickes, weil sie arm waren. Und da sie wegen ihres Stolzes auch sonst niemand liebte, sagte man: ,,Sie verdienen nicht, daß man sie bedauert; sollen sie nur ruhig die Schafe hüten, bei denen können sie die großen Damen spielen. Die Schöne, ja, die tut uns leid, denn das ist ein braves Mädchen. Immer sprach sie freundlich mit den Armen, immer war sie sanft und gut!" Es gab sogar mehrere Edelleute, die sie trotz ihrer Armut heiraten wollten. Sie aber sagte allen, sie brächte es nicht übers Herz, ihren armen Vater zu verlassen, und wolle mit ihm aufs Land ziehen, um ihn zu trösten und ihm bei der Arbeit zu helfen. Anfangs war freilich auch die Schöne sehr betrübt, daß sie ihr Vermögen verloren hatten, doch nach einiger Zeit sagte sie sich: Und wenn ich noch so viele Tränen vergieße, ich kann doch nichts daran ändern und will lieber versuchen, auch ohne Geld glücklich zu sein.
In ihrem Landhaus angekommen, besorgten die Söhne mit dem Vater die Feldarbeit, und die Schöne stand morgens täglich schon um vier Uhr auf, brachte das Haus in Ordnung und kochte für die ganze Familie. Schon nach einigen Wochen hatte sie sich vollkommen an das neue Leben gewöhnt, und dank der emsigen Tätigkeit war sie frisch und gesund. Nach der Arbeit las und musizierte sie oder sang, wenn sie am Spinnrad saß. Ihre Schwestern dagegen schliefen täglich bis zehn Uhr, gingen fast den ganzen Tag lang spazieren und trauerten ihren schönen Kleidern und Unterhaltungen nach.
,,Unsere Jüngste", sagten sie, ,,ist so einfältig und dumm, daß sie sogar im Unglück zufrieden ist."
Der gute Kaufmann wußte genau, daß die Schöne eher dafür geschaffen war, in der Gesellschaft zu glänzen, als ihre Schwestern. Er bewunderte die Kleine, wie tugendhaft und geduldig sie war, während ihre Schwestern sie nicht nur alle Hausarbeit allein machen ließen, sondern sie auch noch ständig beschimpften.
Schon ein Jahr lang lebte die Familie nun in der Einöde, als der Kaufmann eines Tages ein Schreiben erhielt, in dem man ihm berichtete, eines seiner mit Waren beladenen Schiffe sei glücklich im Hafen gelandet. Über diese Neuigkeit gerieten die beiden älteren Mädchen außer Rand und Band vor Freude, und als sich der Vater auf die Reise machte, beschworen sie ihn, er müsse ihnen Kleider, Pelze, Hüte und allen möglichen Putz mitbringen. Die Schöne verlangte nichts. ,,Du willst nicht, daß ich dir etwas kaufe?" fragte sie der Vater. ,,Da Ihr so lieb seid und an mich denken wollt, bringt mir bitte eine Rose mit, denn die gibt es hier nicht."
Die Schöne sehnte sich zwar nicht nach einer Rose, aber sie wollte ihre Schwestern nicht durch eigene Bescheidenheit beschämen. Sie hätten ihr gewiß vorgeworfen, sie wünsche sich nur darum nichts, um von ihnen abzustechen.
Der Kaufmann fuhr davon. Als er im Hafen anlangte, wurde er wegen seiner Waren vor Gericht gestellt, und nach vielen Unannehmlichkeiten machte er sich auf den Heimweg, ebenso arm wie zuvor. Er war kaum noch dreißig Meilen vom Hause entfernt und freute sich schon auf das Wiedersehen mit seinen Kindern, als er sich hoffnungslos in einem dichten Walde verirrte. Er geriet in einen so heftigen Schneesturm, daß er zweimal vom Pferde stürzte. Die Nacht war hereingebrochen, und er fürchtete schon, er würde vor Hunger und Frost sterben müssen oder von den Wölfen überfallen werden, die er ringsum heulen hörte.
Plötzlich erblickte er zwischen den Bäumen einen hellen Lichtschein, der aber sehr weit entfernt schien. Er ging auf ihn zu und sah, daß das Licht aus den Fenstern eines großen Schlosses drang. Der Kaufmann dankte Gott für seine Rettung und eilte auf das Schloß zu. Wie groß war aber seine Überraschung, als er den Hof völlig menschenleer fand! Sein Pferd, das er am Halfter geführt hatte, ging von selbst in einen offenstehenden Stall, wo das arme hungrige Tier reichlich Heu und Hafer fand, den es gierig fraß. Der Kaufmann band das Pferd fest und ging ins Haus, aber auch drinnen war niemand. Er betrat einen großen Saal, wo im Kamin ein Feuer brannte und eine reich gedeckte Tafel stand. Da er durchfroren und bis auf die Haut naß war, näherte er sich dem Feuer, um sich zu wärmen, und sagte zu sich selbst: Der Herr des Hauses oder seine Diener werden gewiß bald kommen und mir wohl verzeihen, daß ich mir solche Freiheit nehme.
Er wartete lange. Als es aber elf schlug und niemand gekommen war, konnte er sich nicht länger zurückhalten, nahm ein gebratenes Huhn vom Tisch und verzehrte es hastig und voller Angst. Dann trank er ein paar Schluck Wein, faßte sich ein Herz und verließ den Saal.
Er durchschritt mehrere prunkvoll eingerichtete Gemächer und fand schließlich ein Zimmer, in dem ein einladendes Bett stand. Da es schon nach Mitternacht und er todmüde war, schloß er die Tür hinter sich und legte sich nieder. Es war zehn Uhr morgens, als er erwachte. Zu seinem Staunen fand er einen schönen sauberen Anzug statt des seinen, der von dem Unwetter völlig verdorben war. Er schaute aus dem Fenster, und da war kein Schnee mehr zu sehen, sondern herrliche Blumenbeete, die das Auge erfreuten. Er ging hinaus, um sein Pferd zu holen, und als er an einer Rosenhecke vorbeikam, erinnerte er sich an den Wunsch seiner Schönen und riß einen Zweig ab, andem mehrere Blüten waren.
In dem Augenblick ertönte ein furchtbares Getöse, und er sah ein so schreckliches Tier auf sich zukommen, daß er fast in Ohnmacht fiel. ,Das ist der Gipfel des Undanks", rief das Ungeheuer mit furchtbarer Stimme, ,,ich habe Euch das Leben gerettet, indem ich Euch in meinem Schloß aufnahm, und zum Dank dafür stehlt Ihr meine Rosen, die ich mehr liebe als alles in der Welt! Dieses Vergehen sollt Ihr mit dem Tode büßen! Ich gewähre Euch eine Frist von einer Viertelstunde, damit Ihr Gott um Verzeihung bitten könnt, dann müßt Ihr sterben!"
Der Kaufmann sank in die Knie und bat mit gefalteten Händen:
,,Hoher Herr, verzeiht mir, ich wollte Euch nicht beleidigen, indem ich die wunderschöne Rose pflückte, doch eine meiner Töchter hatte mich darum gebeten."
,,Ich bin kein hoher Herr", antwortete das Ungeheuer, ,,nur ein häßliches Tier. Ihr sagt, daß Ihr Töchter habt - nun denn, ich will Euch verzeihen, wenn an Eurer Statt eine der Töchter freiwillig zu mir kommt. Keine Widerrede, geht! Und sollten es Eure Töchter ablehnen, für Euch zu sterben, schwört, daß Ihr selbst in drei Monaten wiederkommt!"
Dem Kaufmann fiel es gar nicht ein, dem Scheusal eine seiner Töchter zu opfern, aber er sagte sich: Wenigstens werde ich die Freude haben, sie noch einmal umarmen zu dürfen.
Er schwor also wiederzukommen, und das Ungeheuer ließ ihn gehen.
Dann aber setzte es hinzu:
,,Du sollst nicht mit leeren Händen von hier weggehen. Indem Zimmer, in dem du schliefst, steht ein großer Koffer, in den darfst du alles legen, was dir gefällt. Ich lasse ihn zu dir bringen!" In dem Augenblick war das Tier verschwunden, und der Kaufmann dachte: Wenn ich schon sterben muß, wird es mir wenigstens ein Trost sein, daß ich meinen Kindern etwas hinterlassen kann.
Er kehrte in das Zimmer zurück und fand dort einen Haufen Goldstücke die er in den Koffer legte, von dem das Tier gesprochen hatte. Dann holte er sein Pferd aus dem Stall und verließ das Schloß mit Trauer im Herzen, die ebenso groß war wie die Freude, die er empfunden hatte, als er es betrat.
Das Pferd fand von selbst den Weg durch den Wald, und nach wenigen Stunden war der Kaufmann zu Hause.
Seine Kinder umringten ihn, ihm aber traten Tränen in die Augen, als er sie sah. In der Hand hielt er den Rosenzweig, den er für die Schöne mitgebracht hatte. Er überreichte ihn ihr mit den Worten: ,,Meine Schöne, nimm diese Rosen, sie werden deinen unglücklichen Vater teuer zu stehen kommen." Und er erzählte seiner Familie das verhängnisvolle Abenteuer, das er erlebt hatte. Als sie das hörten, begannen die beiden älteren Schwestern zu schreien und beschimpften die Schöne, die still dastand und nicht weinte. ,,Tränen wären ganz unnütz", sagte sie. ,,Wenn das Ungeheuer mit einem Mädchen vorliebnehmen will, werde ich mich seinem Groll opfern, um meinen Vater zu retten und ihm meine Zuneigung zu beweisen."
,,Nein, Schwesterchen", riefen die drei Brüder, ,,du sollst nicht sterben. Wir wollen hingehen und lieber selbst umkommen, wenn es uns nicht gelingt, das Ungeheuer zu töten!"
,,Darauf hoffet nicht, meine Kinder", sagte der Kaufmann, ,,das Tier ist so groß und mächtig, daß ihr es niemals überwinden könntet. Ich bin gerührt über die Gutherzigkeit meiner Schönen, aber ich bin ein alter Mann, der nicht mehr lange zu leben hat, und wenn ich einige Jahre opfere, habe ich nichts weiter zu bedauern, als euch zu verlieren."
,,Ihr dürft nicht ohne mich in das Schloß gehen, mein Vater!" rief die Schöne. ,,Wenn ich auch noch jung bin, hänge ich doch nicht am Leben, und lieber will ich von dem Scheusal getötet werden, als vor Kummer über Euren Verlust zu sterben." Es half kein Überreden, die Schöne wollte unbedingt gehen, zur inneren Freude der Schwestern, die der Jüngsten schon lange ihre Tugenden geneidet hatten.
Der Kaufmann war so verzweifelt, seine Tochter zu verlieren, daß er den Koffer mit den Goldstücken völlig vergessen hatte. Als er aber sein Zimmer betrat, sah er ihn zu seiner Überraschung neben dem Bett stehen. Er entschloß sich, vor seinen Kindern zu verheimlichen, daß er nun wieder reich war, ausgenommen vor der Schönen, die ihm erzählt hatte, es wären in seiner Abwesenheit mehrere junge Edelleute gekommen, von denen zwei ihre Schwestern liebten. Sie bat den Vater, die Mädchen zu verheiraten, denn sie war so herzensgut, daß sie ihnen all das Unrecht verzieh, das sie ihr zugefügt hatten. Die bösen Schwestern neben sich Zwiebelsaft in die Augen, um zu weinen, als die Schöne sich mit dem Vater auf den Weg ins Schloß machte; die Brüder aber weinten wirklich, ebenso wie der Vater. Nur die Schöne vergoß keine Träne, denn sie wollte ihnen nicht noch mehr Schmerz bereiten.
Das Pferd nahm den Weg zum Schloß, und gegen Abend erblickten sie es leuchtend in der Ferne. Das Pferd trottete von selbst in den Stall, und der Kaufmann betrat mit seiner Tochter den großen Saal, wo wieder eine reiche, diesmal für zwei Personen gedeckte Tafel stand. Die Schöne dachte: Das Ungeheuer will mich mästen, ehe es mich frißt, darum soll ich all die guten Sachen essen! Als die Schöne nach dem Abendessen das Tier erblickte, erschrak sie über seine Häßlichkeit; als es sie aber fragte, ob sie freiwillig gekommen sei, antwortete sie zitternd mit Ja. ,,Ihr seid sehr lieb", sagte das Tier, ,,und ich bin Euch dankbar. Ihr aber", wandte es sich an den Vater, ,,Ihr müßt morgen früh verschwinden und Euch nie wieder hier sehen lassen! Auf Wiedersehen, Schöne!"
,,Auf Wiedersehen", antwortete das Mädchen, und das Ungeheuer zog sich sofort zurück.
,,Ach, mein Kind, ich bin halbtot vor Angst", sagte der Vater, als er die Schöne umarmte. ,,Laß mich doch statt deiner hier!"
,,Nein, Vater", sagte sie fest. ,,Ihr werdet morgen früh heimreiten. Laßt mich ruhig hier." Sie wünschten einander eine gute Nacht und waren überzeugt, sie würden kein Auge schließen; kaum aber hatten sie sich niedergelegt, schliefen sie ganz tief ein. Im Traum erschien der Schönen eine Frau, die sprach zu ihr: ,,Ich bin zufrieden, daß du so ein gutes Herz hast und dein Leben für deinen Vater hingeben willst. Für diese gute Tat wirst du belohnt werden."
Nach dem Erwachen erzählte sie dem Vater ihren Traum, und obwohl er ein wenig getröstet war, klagte er laut, als er von seiner geliebten Tochter Abschied nehmen mußte.
Als er weg war, fing die Schöne auch zu weinen an, dann aber empfahl sie sich in Gottes Hand und sagte sich, sie wolle die kurze Zeit, die sie noch zu leben hatte, nicht mit Trauer zubringen; denn sie war fest überzeugt, das Ungeheuer werde sie am Abend fressen.
Sie machte sich auf einen Rundgang durch das Schloß. Zu ihrer Überraschung fand sie eine Tür mit der Aufschrift: ,,Wohnung der Schönen". Schnell trat sie ein und blieb geblendet von der Pracht stehen. Am meisten staunte sie über die wunderschöne Bibliothek, das Klavier und mehrere Notenhefte. Sie öffnete einen Bücherschrank und erblickte ein offenes Buch, in dem mit goldenen Lettern zu lesen stand: Wünsche und befehle - du bist hier Herrin und Königin! ,,Mein Gott", sagte sie seufzend, ,,ich wünsche mir nichts anderes, als von meinem guten Vater zu wissen, was er jetzt macht!"
Sie hatte dies nur zu sich selbst gesagt - aber wie groß war ihr Staunen, als ihr Blick auf einen großen Spiegel fiel, in dem sie ihr Haus und ihren Vater sah, der gerade mit tieftrauriger Miene heimgekehrt war! Seine Töchter gingen ihm entgegen, und trotz der Grimassen, die sie schnitten, um traurig auszuschauen, merkte man an ihren Mienen, wie froh sie waren, ihre jüngste Schwester losgeworden zu sein. Einen Augenblick später war das Bild verschwunden, und die Schöne mußte sich eingestehen, daß das Ungeheuer eigentlich nett war und sie von ihm nichts zu fürchten hatte.
Mittags fand sie wiederum den Tisch gedeckt, und während sie aß, lauschte sie wunderbarer Musik, obwohl niemand zu sehen war. Als sie am Abend zu Tisch ging, hörte sie das Getöse des sich nahenden Ungetüms, und sie zitterte vor Angst.
,,Darf ich dir beim Essen zuschauen?" fragte es. ,,Ihr seid der Herr hier", antwortete sie angstvoll. ,,Nein", sagte das Tier, ,,hier bist du allein die Herrin. Es genügt, wenn du mich wegschickst, sollte ich dir lästig sein. Ich würde sofort verschwinden. - Du findest mich wohl sehr scheußlich?"
,,Das ist wahr, antwortete die Schöne, ,,ich kann nicht lügen. Aber ich glaube, Ihr seid sehr gütig."
,,Du hast recht , sagte das Ungeheuer, ,,aber außer meiner Häßlichkeit bin ich auch sehr dumm. Ich bin eben nur ein Tier."
,,Man ist nicht dumm", antwortete die Schöne, ,,wenn man selbst glaubt, keinen Verstand zu haben. Ein Dummer würde das niemals sagen.
,,Iß doch!" sagte das Tier, ,,und versuche, dich hier wohl zu fühlen; denn alles hier ist dein, und es kränkte mich sehr, wenn du nicht zufrieden wärst."
,,Ihr seid sehr gütig", sagte die Schöne, ,,und ich muß gestehen, es freut mich, daß Ihr so ein gutes Herz habt. Wenn ich daran denke, finde ich Euch nicht mehr so häßlich."
,,Hätte ich mehr Verstand", antwortete das Ungeheuer, ,,könnte ich dir mit einem hübschen Kompliment danken. Da ich aber dumm bin, kann ich nur sagen - ich danke dir!"
Die Schöne aß mit gutem Appetit. Sie hatte fast gar keine Angst mehr, glaubte aber vor Schreck sterben zu müssen, als das Ungeheuer plötzlich fragte: ,,Willst du meine Frau werden?"
Eine Weile blieb sie stumm. Sie fürchtete, das Ungeheuer werde zornig werden, wenn sie ablehnte. Trotzdem hauchte sie zitternd:
,,Nein."
Indem Moment stöhnte das Tier so laut auf, daß es im ganzen Schloß widerhallte. Die Schöne faßte sich aber bald wieder, denn das Tier sagte nur traurig: ,,Also lebe wohl, Schöne", und verließ das Zimmer, nachdem es sich noch einmal umgewandt hatte. Als sie allein war, tat ihr das arme Tier leid. Ach, wie schade, daß es so häßlich war, wo es doch so ein gutes Herz hatte!
Drei Monate lebte die Schöne nun schon in dem Schloß. Jeden Abend kam das Tier zu Besuch und unterhielt sie beim Essen. Und von Tag zu Tag entdeckte die Schöne weitere gute Eigenschaften an ihm. Sie fürchtete sich schon lange nicht mehr vor seinen Besuchen, im Gegenteil, sie schaute häufig auf die Uhr, ob es wohl bald neun sei, denn pünktlich erschien das Ungeheuer täglich zu dieser Stunde. Nur eines schmerzte sie - jedesmal vor dem Weggehen fragte es, ob sie nicht seine Frau werden wollte, und jedesmal schien es tieftraurig, wenn sie verneinte. Eines Tages sagte sie: ,,Ich kann Euch nicht heiraten, und ich bin viel zu aufrichtig, um Euch glauben zu machen, ich könnte es mir überlegen. Aber ich werde Euch immer eine gute Freundin sein. Vielleicht könnt Ihr Euch damit begnügen."
,,Das muß ich wohl", erwiderte das Tier. ,,Ich weiß, ich bin ein Scheusal, aber ich liebe dich sehr. Versprich mir, mich niemals zu verlassen!"
Die Schöne errötete bei diesen Worten, denn sie hatte im Spiegel gesehen, daß ihr Vater krank war vor Trauer über ihren Verlust, und sie wollte ihn schrecklich gern wiedersehen.
,,Ich kann versprechen, Euch niemals für immer zu verlassen. Aber ich habe solche Sehnsucht nach meinem Vater, daß ich vor Kummer zu sterben glaube, wenn Ihr mich nicht zu ihm lasset."
,,Ich will lieber selbst sterben als dir Schmerz bereiten", sagte das Ungeheuer. ,,Ich schicke dich zu deinem Vater, du wirst bei ihm bleiben, und ich armes Tier werde hier vor Trauer vergehen." ,,Nein!" rief die Schöne weinend, ,,ich habe Euch viel zu lieb, um Euch sterben zu lassen. Ich verspreche Euch, ich komme in acht Tagen wieder. Ihr habt mich sehen lassen, daß meine Schwestern verheiratet und meine Brüder beim Heer sind. Mein Vater ist ganz allein. Laßt mich eine Woche bei ihm." ,,Morgen früh wirst du bei ihm sein", sagte das Tier. ,,Aber denk an dein Versprechen. Es genügt, wenn du vor dem Schlafengehen deinen Ring auf den Nachttisch legst, sobald du zurückkehren willst. Lebe wohl, Schöne!" Nach seiner Gewohnheit stöhnte es tief auf bei diesen Worten, und die Schöne legte sich traurig nieder, denn sie hatte ihm wiederum Schmerz bereitet. Als sie am nächsten Morgen erwachte, befand sie sich in ihrem Vaterhaus, und als sie geklingelt hatte, erschien ihre alte Magd, die vor Freude aufschrie. Nun kam auch der Vater herbeigelaufen und geriet vor Glück über das Wiedersehen fast aus dem Häuschen. Lange hielten sie einander umschlungen.
Nach der ersten stürmischen Begrüßung dachte die Schöne daran, daß sie ja kein Kleid mithabe. Aber die Magd sagte, im Nebenzimmer stünde ein großer Koffer voll der prachtvollsten Kleider - wahrhaftig, sie waren mit Gold und Edelsteinen bestickt. Im Geist dankte die Schöne dem Ungeheuer für seine Aufmerksamkeit. Sie zog das am wenigsten prunkvolle Kleid an und sagte, die Magd solle die übrigen bügeln, denn sie wolle sie ihren Schwestern schenken. Kaum hatte sie diese Worte ausgesprochen, verschwand der Koffer spurlos. Der Vater meinte, das Ungeheuer wolle gewiß, sie solle die Kleider selbst behalten - und tatsächlich, im Nu stand der Koffer wieder auf seinem Platz. Die Schöne kleidete sich an, und unterdessen wurden die Schwestern mit ihren Gatten eingeladen. Sie starben fast vor Neid, als sie die Schöne wie eine Prinzessin gekleidet wiedersahen. Sie gingen in den Garten, um sich auszuweinen. ,,Warum ist dieses Ding um so viel glücklicher als wir? Sind wir denn nicht besser als sie?"
,,Meine Liebe, ich habe eine Idee - halten wir sie länger als acht Tage hier zurück, das dumme Vieh wird wütend werden, daß sie nicht Wort gehalten hat, und sie zerreißen." Nach diesem Entschluß gingen sie ins Haus zurück und taten ihrer Schwester so schön, daß diese vor Freude weinte. Als die acht Tage verflossen waren, rauften sich die Schwestern die Haare und taten, als wären sie verzweifelt, sich von ihr zu trennen, und die Schöne willigte ein, sie wolle noch weitere acht Tage bleiben. Innerlich aber machte sie sich Vorwürfe, daß sie das gute arme Tier betrübte, obwohl sie ihm von Herzen zugetan war. In der zehnten Nacht, die sie im Vaterhaus verbrachte, sah sie im Traum das Ungeheuer sterbend auf dem Rasen im Schloßpark liegen. Es seufzte und klagte und warf ihr ihren Undank vor. Weinend erwachte sie. ,,Bin ich nicht wahrhaftig ein böses Ding, einem Geschöpf, das so liebenswürdig zu mir ist, solchen Kummer zuzufügen? Ist es denn seine Schuld, daß es häßlich und nicht mit Geist begabt ist? Es ist herzensgut, und das ist mehr wert als alles andere. Warum sollte ich nicht seine Frau werden? Wenn nicht aus Liebe, so doch aus Achtung, Freundschaft und Dankbarkeit. Ich darf es nicht unglücklich machen. Mein Leben lang werde ich mir Undankbarkeit vorwerfen!" Mit diesen Worten legte die Schöne ihren Ring auf den Nachttisch und schlief wieder ein.
Als sie morgens erwachte, sah sie mit Freude, daß sie sich wieder im Schloß befand. Sie zog ein prachtvolles Kleid an, um ihm zu gefallen, und starb fast vor Langeweile, ehe es neun Uhr abend wurde. Als die Uhr jedoch schon lange neun geschlagen hatte, war das Tier immer noch nicht erschienen.
Voller Angst lief die Schöne zum Schloßteich, wo sie im Traum das Tier hatte liegen sehen.
Sie fand es tatsächlich bewußtlos auf dem Rasen ausgestreckt und glaubte, es sei tot. Verzweifelt warf sie sich auf seinen Körper, ohne auch nur seine Häßlichkeit zu scheuen, und als sie spürte, daß sein Herz noch schwach klopfte, besprengte sie seinen Kopf mit Wasser. Das Tier öffnete die Augen und sagte leise: ,,Du hast dein Versprechen nicht gehalten. Vor Trauer, dich für immer verloren zu haben, wollte ich Hungers sterben. Jetzt aber fürchte ich den Tod nicht, denn ich durfte dich doch noch einmal sehen."
,,Nein, mein geliebtes Tier, du darfst nicht sterben", sagte die Schöne, ,,du mußt leben, um mein Gemahl zu werden. Ach, ich glaubte, es sei nur Freundschaft, die ich für dich empfand, aber nun sehe ich, daß ich ohne dich nicht mehr leben kann!" Nach diesen Worten wollte sie das Tier, für dessen Leben sie zitterte, umarmen. Aber o Himmel! Das Ungeheuer war verschwunden, und zu ihren Füßen kniete ein Prinz, schön wie der Tag, der ihr dankte, daß sie ihn von einem bösen Zauber erlöst habe. Obwohl ihr der Prinz sehr gut gefiel, konnte sie nicht die Frage unterdrücken, wo denn das Ungeheuer sei. ,,Hier, zu deinen Füßen!" antwortete der Prinz. ,,Ich war von einer bösen Fee verwunschen, so lange in dieser scheußlichen Gestalt zu leben, bis ein schönes Mädchen einwilligte, mich zu heiraten. Und ich durfte auch nicht zeigen, daß ich Verstand hatte wie ein Mensch. Auf der ganzen Welt warst nur du gütig genug, dich von meiner Bravheit rühren zu lassen. Wenn ich dir nun meine Krone anbiete, ist das nur ein kleiner Teil meiner Dankbarkeit für dich."
Erstaunt reichte die Schöne dem Prinzen die Hand, und sie gingen zusammen ins Schloß.
Wie groß war ihre Freude, als sie im Festsaal ihren Vater und die ganze Familie vorfand!
Die gütige Fee, die ihr einst im Traum erschienen war, hatte alle ihre Lieben in das große Schloß gebracht.
Und die Fee sprach: ,,Dies ist der Lohn für deine Güte. Du wirst eine große Königin werden, aber ich hoffe, du wirst deine Tugend auch auf dem Thron bewahren. Ihr beiden", sagte sie, auf die Schwestern weisend, ,,sollt zu Statuen werden, die den Eingang hüten. Aber auch unter der steinernen Hülle sollt ihr euren Verstand behalten und zur Strafe Zeugen des Glücks eurer Schwester sein. Erst wenn ihr eure Fehler erkennt und bereut, dürft ihr wieder wie Menschen leben. Aber ich glaube, ihr werdet immer Statuen bleiben, denn die Bekehrung eines neidvollen, bösen Herzens ist ein seltenes Wunder."
Dann schwenkte die gute Fee ihren Zauberstab, und der Bann, der auf dem großen Schloß gelegen hatte, war gebrochen. Die Untertanen freuten sich, ihren Prinzen wiederzusehen, und dankten der guten Fee für seine Befreiung. War das ein Glück!
Alle jubelten vor Freude, und mit ihnen freuten sich auch alle armen und reichen Leute weit und breit.
Und bald wurde Hochzeit gefeiert!
An der prächtig reichen Festtafel ward das Leben süß wie Honig!
So wurde des Kaufmanns jüngste Tochter, die Schöne - wie man sie von frühester Kindheit nannte -, Königin und Gemahlin des verzauberten Prinzen. Ihre Güte und ihr gutes Herz bewahrte sie auch auf dem königlichen Thron.
Und so lebten die Schöne und der Prinz noch lange glücklich und zufrieden und regierten das Land weise, klug und gerecht bis an ihr Ende.
Quelle:
Deutsch von Marie Vanickova, ARTIA, Prag
Gefunden in:
"Die Nachtigall und die Rose" - Ein Märchenbuch für Verliebte
Herausgegeben von Regina Hänsel
Mit farbigen Illustrationen von.
Manfred Butzmann, Klaus Ensikat, Renate Göritz, Carl Hoffmann, Renate Totzke-Israel
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Lizenz Nr.303(305/58/76)
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