rosen
 
   
Die wahre Geschichte von 'tinker bell'


Eine Geschichte um die Entstehung einer Rose

© rosenmagazin


Wir danken Klaus Beck und seinem ehrenamtliches Team...


In Irland, wo die Nachfahren der Kelten, und auch die Pikten, Elfen und das alte Volk noch einen Platz haben, lebte in einem Schloßpark ein alter Rosenstock. Er war so alt, daß niemand sich an die Zeit erinnern konnte, als er noch nicht da war. Er war so mächtig und wuchs so stolz, daß er die gesamte Länge der Freitreppe hinaufgeklettert war, so daß er jedem Besucher gleich ins Auge fiel.
Das Schloß hatte ein Manufakturbesitzer gekauft, der den Bewohnern der Gegend Arbeit gebracht hatte und von ihnen deshalb inbrünstig verehrt wurde. Einer alten Legende zufolge hatte in der Nähe des Schlosses einst eine Mühle gestanden, welche die Missionare abgerissen hatten, weil dort ein schwarzer Müller sein Unwesen getrieben hatte. So nannten die Leute den Fabrikbesitzer den "Laird of blackmill". Er selbst hielt wenig von dieser Ehre, aber er wollte die Menschen nicht enttäuschen und duldete die Anrede. Häufig hörte man ihn sagen, daß ein jeder sich Laird nennen könnte und wenn er auch nur ein saure Wiese sein eigen nenne.
Vom Rosenstock war bekannt, daß, wer in seinem Schatten weilte und reinen Herzens war, Hilfe von ihm erwarten könne, weil er die Gedanken der Menschen lesen könne und ihre Not verstünde. Der laird hielt dies für Unfug, aber weil es ja doch stimmen konnte, hieß er seinen Gärtner, diese Rose besonders zu pflegen.

Eines Tages kam der Diener in den Salon und überreichte dem Laird eine Visitenkarte auf einem silbernen Tablett. "Duchesse of Halsbury" las der Hausherr und deutete mit einer Handbewegung an, daß man die Dame hereinführen möge. Der Butler rümpfte die Nase, schließlich hätte sich an dieser Stelle ein "Ich lasse bitten" geziemt. Aber er kannte seinen Herrn noch nicht gut und konnte kaum ahnen, was als nächstes geschehen würde. Die hohe Dame betrat den Salon und schritt auf den laird zu. Mit einem leichten Ausstrecken der rechten Hand, deutete sie an, er möge sich verbeugen und ihre Hand küssen.
Der Fabrikherr ignorierte diese Aufforderung oder verstand sie nicht.
Auf alle Fälle machte er keine Anstalten den gewünschten Gruß zu entbieten und sah die Besucherin statt dessen auffordernd an. Diese quittierte sein Fehlverhalten mit einem gereizten Seufzen.
"Nun, ich habe mich aufgemacht, Ihnen meinen Gruß zu entbieten, edler laird und Euch im Namen der hiesigen Adelsgesellschaft willkommen zu heißen," sagte die edle Dame. "In der kommenden Saison werde ich einen Ball für die Debütantinnen geben und möchte Euch dazu einladen. Ferner habe ich Euch ein Gastgeschenk mitgebracht, wiewohl es an Euch gewesen wäre, Euren Anstandsbesuch bei uns zu machen."
Mit einer Handbewegung wies sie den Diener an, einen Korb hereinzuholen, der einige Reiser enthielt, auf die der Hausherr sich zunächst keinen Reim machen konnte. "Ich habe mich befleißigt, Euch einige Rosen aus meiner eigenen Zucht anzudienen. Sicher sind es keine Edelrosen, was ja in Eurem Falle auch nicht schicklich wäre, sondern eine Sorte, die ich für den allgemeinen Markt hervorgebracht habe. Es ist dies eine Spezies, die ich unter Kreuzung mit einer der hiesigen Bauernrosen gewonnen habe,
welche die Tölpel hier "shamrocks blush" nennen."
Der Laird, der keiner war, wurde aufmerksam, wollte die Dame ihn mit ihrem Geschenk beleidigen oder herabwürdigen? "Ich glaube, ich kann Euch nicht folgen," sagte er und runzelte die Stirn.
"Wollt ihr damit andeuten, daß eine Edelrose für mich zu edel wäre?"

"Gewiß nicht, nur würde sie nicht zu Eurem Garten passen, der in dem Gestus der Bauern gepflegt wird und unter anderen Scheußlichkeiten diesen halbwilden Rosenstock auf der Treppe enthält. Es dürfte Euch nicht unbekannt sein, daß wir unsere Pflanzengeschöpfe in Parks kultivieren," erklärte die Duchesse in unbeschreiblicher Manierierlichkeit.
"Habt Ihr zudem noch etwas auszusetzen?" fragte der Laird gereizt.
"Wenn Ihr mir mit Eurer Frage schon Anlaß bietet, gewiß! Unsere Landpächter und früheren unfreien Bauern verlassen scharenweise das Land und ziehen zu Eurer Siedlung in der Nähe des Fertigungsbetriebes. Ich bin gesandt, Euch aufzufordern, uns dafür zu entschädigen. Im Gegenzug werden wir übersehen,
daß Ihr nicht von Adel seid und Euch wie unseresgleichen in unsere Kreise aufnehmen."
"So würdet Ihr das? Ich lege aber keinen Wert auf Eure Gesellschaft. Jetzt nicht und zu keiner Zeit."
Die betuliche Art der Duchesse nachahmend hing der Laird noch einige Aussagen an diese Bemerkung:
"Ich werde mich nicht anheischig erweisen, einer Rotte von hergelaufenen blaunäsigen Inzuchtfratzen meine Aufwartung zu machen. Mein Name ist Denis O'Leary und der ist ebenso alt und ehrwürdig wie der Eure, auch wenn meine Vorfahren Bauern, Seefahrer und Handwerker waren. Nur soviel sei Ihnen noch gesagt, wir haben Saft und Kraft und wenn ich in den Bach pinkele, so ist dies im Vergleich zu eurem seichten Gesäusel ein Sturzbach, dessen Gebrause man bis nach Dublin hört."

Die Duchesse war zornrot und dann wieder kreidebleich geworden und brauchte ihre ganze Fassung, um hervorzubringen: "Bemüht Euch nicht, ich finde hinaus."
"Wohlan, das enthebt mich der Verpflichtung, meinen Butler so nutzlos zu beschäftigen, eine Närrin wie Euch hinauszubegleiten," donnerte der Laird. Damit verließ die Dame der oberen Gesellschaft eilends den Raum.
In der Aufregung hatte sie den Korb mit den Rosen zurückgelassen. Diesen warf O'Leary - wie er eigentlich hieß - einfach aus dem Fenster. Er bedauerte einzig, daß die Besucherin zu weit entfernt war,um diesen ins Kreuz zu bekommen.
Nun wäre die Geschichte fast zum Ende gekommen, hätte nicht der Gärtner den Korb gefunden und die Rosen eingepflanzt. Bei der unklaren Herkunft der Gewächse setzte er sie an einen Platz, wo sie nicht jeder Betrachter des Gartens sogleich sehen würde. Wohl hatte der alte Rosenstock einen guten Blick auf die Neuankömmlinge und freute sich über die Gesellschaft der Artgenossen.

Dies alles geschah im Herbst und im folgenden Frühjahr streckte der alte Rosenstock seine Glieder und brachte kräftige, junge Triebe hervor und putzte sich mit sattgrünem Laub. Sooft sein Blick auf die neuen Rosen fiel, hatte nur eine einzige Pflanze wenige, wenn auch schwächliche Triebe hervorgebracht. Der Gärtner entfernte die kümmernden Rosen und ließ nur die wachsende zurück. Diese Tätigkeit kommentierte er mit den Worten: "Weiß Gott, diese Primel ist ebenso töricht wie ihre Herrin." Der alte und verständige Rosenstock sah die Not der zarten Schwester und sandte ihr Aufmunterung. Er wußte genau, daß sie den Sommer nicht überleben würde, wenn sie weiter vor sich hin kränkelte. Die junge Rose jedoch wies ihn für seinen Trost scharf zurecht und bestätigte damit das Urteil des fachkundigen Gärtners. "Du bist nur ein knorriges Bauerngewächs," sagte sie. Ich hingegen bin - zum überwiegenden Teil zumindest - von edler Herkunft und somit habe ich deine Dienste nicht nötig. Packe er sich und schere er sich um seine eigenen Belange."

Der Alte war zu weise, um auf dieses Spiel einzugehen und richtete nicht mehr das Wort an die junge Rose. Sie würde schon auf ihn zukommen, wenn sie ihn brauchte. Und das - da war er sicher - würde bald der Fall sein. So stand es mit den beiden, bis der Sommer ins Land ging.
Bald schmückte der alte Rosenstock sich mit Kaskaden roter, duftender Blütendolden. Die junge Rose hingegen hatte noch nicht einmal Knospen hervorgebracht. Der Gärtner sprach: "Noch zu vornehm zum Blühen, mach so weiter und ich schnitze Bleistifte aus Deinem Holz." Wäre die junge Rose nicht so borniert gewesen, hätte sie den Alten um Hilfe bitten können, aber sie glaubte,
daß es ihr für diese Demütigung noch nicht schlecht genug erging.
Der Alte wußte es besser und er war nicht nachtragend. Zur rechten Zeit schob er einen kräftigen Trieb in Richtung der jungen Rose, um ihr im Notfall beistehen zu können. Eine Woche später war die junge Rose fast soweit, ihre Bitte auszusprechen, denn es ging ihr von Tag zu Tag elender. Mittlerweile war der Trieb des alten Rosenstocks bei ihr angelangt und er wollte sie nicht bitten lassen. Er umschlang ihre Haupttriebe und legte alle seine Kraft in diese Umarmung, so daß seine Lebenskraft und Wuchsfreude auf die junge Rose überging und sie sich zusehends erholte. Die junge Rose hatte ihren Fehler längst eingesehen und dankte dem Alten innerlich für seine Hilfe. Er gefiel ihr immer besser, denn er war gütig, weise, voller Lebenskraft und Mut. Dann nahm sie all ihren Mut zusammen und sagte:
"ich habe mich dumm betragen, kannst du mir verzeihen?" "Ich habe dir längst verziehen,
hätte ich dir sonst geholfen. Du aber solltest es nicht vergessen, wenn dich dein nächster Anfall von Hochmut plagt, kleines Fräulein," sagte der Alte.
"Ich werde mich ändern," sprach die Junge, "es war wohl die Kinderstube, die mich so affektiert geprägt hat."

So kam der Sommer ins Land und fand die beiden Rosen als gute Freunde.
Die junge Rose trug jetzt einige intensiv gelbe Blüten, die jedoch wegen der späten Blüte leicht nickend wuchsen. Im Grunde hatte dies aber seinen eigenen Reiz und man konnte ohne Übertreibung sagen, daß sie zu einer frischen Schönheit herangewachsen war. Und daß sie sich charakterlich entwickelt hatte, wissen wir bereits.
So sagte sie eines Tages zu dem Alten: "Du bist ein Wesen voller Stärke und Lebensfeude und ich habe dich liebgewonnen. Würdest du mir glauben, wenn ich sagte, daß ich von dir bestäubt werden möchte und daß nicht nur, weil du mir geholfen hast?"
Der Alte räusperte sich verlegen, schließlich war er noch nie in diese Situation gekommen, weil nie zuvor eine andere Rose in seiner Nähe gewesen war. Die kleine Rose war jetzt so voller Anmut und jugendlicher Frische, daß er hätte lügen müssen, um zu behaupten, daß er nicht selbst oft wärmstens an sie gedacht hatte. Also stimmte er herzlich zu und rief die Bienen, damit sie seinen Blütenstaub auf die Blüten der Jungen verteilen sollten. Und weil ihn diese späte Vaterschaft mit soviel Glück erfüllte, blühte er noch mächtiger und kletterte übermütig ein weiteres Stück die Treppe hinauf. Man ist doch nie zu alt, um glücklich zu sein.
Der Sommer verging und der Herbst näherte sich, als die Blüten der Rosen abfielen und die junge Rose Hagebutten gebar. Ein irischer Herbst ist nun nicht so eine öde und graue Vorstellung wie bei uns. Es wird nur etwas milder und es regnet noch etwas mehr. In Irland regnet es aber ständig, obwohl alle Iren stets behaupten, es wäre noch nie so schlimm gewesen wie in diesem Jahr. Dabei ist es eigentlich nicht so schlimm, denn es bleibt immer hell dabei und es vergeht kein Tag ganz ohne Sonne.
Immerhin wachsen auf der Insel Palmen und auch im Winter wird es nie wirklich kalt.

Eines Morgens hörte man Hufgetrappel und das Geräusch von Fuhrwerken. Die Tinker waren in den Ort gekommen. Wir würden sie bei uns Zigeuner nennen und tatsächlich sind sie mit ihnen verwandt. Das Wort Zigeuner mögen sie jedoch ebenso wenig wie unsere Roma und Sinti. Während unsere "Zigeuner" meist mit Teppichen oder Strickwerk handeln, sind die Tinker Kesselflicker und aus diesem Gewerbe ist auch ihr Name entstanden. Da heute kaum noch jemand Kessel hat, betteln die meisten Tinker und wer je in Irland war, weiß wie arm sie sind.
Der Laird empfing sie herzlich, wohl wissend, daß seine Dienstleute und die Menschen im Ort die Tinker wenig schätzten. Ihnen wurde alle Übel nachgesagt und das schlimmste davon war die Verbindung zur linken Hand oder einfacher gesagt: die schwarze Magie. Niemand wußte besser als der Laird, daß dies reiner Aberglaube war und er hatte reichlich Arbeit für das Wandervolk. Er wies ihnen persönlich eine Stelle zum Lagern an und bewirtete sie reichlich mit Fleisch, Kartoffeln und kräftigem Stoutbier (Guiness is good for You).
Als der Laird eines Nachmittags durch den Garten ging, sah er ein Tinkermädchen bei der alten Rose auf der Treppe sitzen. Scheinbar war diese beiden in ein Gespräch vertieft, denn die Kleine nickte bisweilen und der Rosenstock bewegte ohne Wind seine Zweige. Er sprach das Kind an und wollte wissen, wie es hieße. Das Mädchen blickte ihn an, ihre tiefschwarzen Augen kamen ihm wie tiefe Seen vor, in diesem schmalen, blassen Gesichtchen und für einen Moment glaubte er, daß darin die Antworten auf alle wichtigen Fragen des Lebens stünden. Das Kind antwortete nicht und bedeutet ihm durch eindeutige und leicht verständliche Zeichen, daß sie stumm sei, ihn aber wohl hören und verstehen könne.

Der Laird nahm sie bei der Hand und die Kleine faßte gleich Vertrauen zu dem starken und gutherzigen Menschen. Sie folgte ihm willig in die große Wirtschaftsküche, der Mary O'Mahoney vorstand. Wie alle älteren Iren litt sie unter Arthritris und heute wollten ihr die knotigen Gelenke einmal wieder gar nicht gehorchen. Deshalb war sie leicht übellaunig, als der Laird mit seinem Schützling die Küche betrat.
"Mary, wasch das Kind und ziehe im saubere Kleidung an," wies sie der Laird an, "es ist ein Jammer, wie arm diese Menschen sind." "Ich soll die Tinkerbrut kleiden," sagte Mary, "seid ihr von Sinnen?
Ebenso gut könnte ich Dohlen im Käfig halten. Schafft diesen Balg aus meiner Küche."
Der Laird sah die Frau zornig an und setzte an zu einer heftigen Erwiderung. Der Fabrikherr konnte Flüche ausstoßen, die so lang sind wie der River Shannon und öfter das Wort verdammt enthielten als Amen in der Bibel steht. Die Kleine war unterdessen auf die unwirsche Haushälterin zugegangen und berührte leicht ihren kräftigen Arm und blickte sie stumm an. Jeder hätte erwartet, daß Mary zurückweichen würde, als hätte eine Ratte sie gebissen, aber sie blieb an ihrem Platz und sah das Kind erstaunt an.
"Bleib hier, sagte sie, ich will alles richten, verzeiht mir Herr."
Der Laird verließ grußlos die Küche, noch etwas aufgebracht über den feindlichen Ungehorsam. Aber dann fragte er sich, was den Willen der sonst guten Frau geändert haben mochte. Es war ihm auf einmal klar: dieses stumme Kind berührte einen wie eine engelhafte Erscheinung. Man wollte, daß sie blieb, weil sie Trübsal und Sorgen nur durch ihre Gegenwart verbannte. Wie sehr hätte der gute Mann gestaunt, wäre er Zeuge der weiteren Szene in der Küche geworden.

Als Mary das knochige Kind entkleidete und in den Zuber mit warmen Wasser setzte, liefen ihr unvermittelt dicke Tränen der Scham und der Dankbarkeit über die faltigen Wangen. Das kleine Wesen hatte sie mit einer Berührung von allen Rheumabeschwerden befreit und sie konnte sich bewegen wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Sie streichelte das Kind beim Abtrocknen und sagte: "Der Herr hat dir mehr gegeben als die Sprache, sei nicht traurig, daß du nicht sprechen kannst."
Iren glauben an solche Wunder und jeder hat eines bereits erlebt oder kennt jemanden, der Zeuge eines solchen Ereignisses wurde. Auch der Laird wußte, daß hier etwas besonderes im Gange war und begab sich zum Lagerplatz der Tinker. "Wer sind die Eltern des stummen Mädchens," fragte er. "Sie hat nur noch den Vater, den wir Borgas nennen, du findest ihn am Bach," antwortete eine der Frauen.
Der Laird begab sich zum Wasser und fand den Vater beim Waschen der wenigen Kleider, die er und seine Tochter hatten. "Ich habe die Haushälterin angewiesen , dein Kind zu waschen und zu kleiden, ich hoffe, du nimmst es mir nicht übel, daß ich dich nicht zuvor gefragt habe," sagte der Laird zu dem sehnigen Mann, der vor der Zeit gealtert und ergraut war.
"Es ist Recht, guter Herr," sagte der Mann, "sie hat es nicht gut getroffen und kann jede Zuwendung brauchen. Letzten Sommer starb ihre Mutter an der Schwindsucht und das arme Kind ist stumm, seit sie sechs ist."
"Das heißt, daß sie früher sprechen konnte," fragte der Hausherr.
"Gewiß, sie hatte die Diphterie und unser Heilkundiger konnte ihr nicht anders helfen als mit einem Luftröhrenschnitt, wir waren unterwegs und der nächste Arzt war weit entfernt. Aber die Wunde hat sich entzündet und der Brand hat ihre Kehle gefressen.""Sagt mir noch wie dein Kind heißt."
"Wir nennen sie Belle, denn ihr Großvater war lange in Frankreich und sie ist weiß Gott ein schönes Mädchen."

"Ja, sie ist etwas besonderes," erwiderte der Laird, "und die Schönheit ist die geringste ihrer Tugenden." Damit ging der Laird zum Haus zurück.
Wie das Ende dieser Geschichte immer näher rückt, so waren auch die Tage des Aufenthalts beim Schloß für die Tinker gezählt. Belle setzte sich zum Rosenstock, um sich zu verabschieden. "Mußt du gehen, kleines Wunderwesen," sagte der Alte und seine Stimme klang merkwürdig beklommen. "Wie schön, daß du bei mir warst." Die Kleine antwortet ihm in Gedanken, die der Rosenstock ja lesen konnte:
"Ja, es war schön hier bei dir und ich gehe nicht gerne."
Der Alte kämpfte mit den Tränen und einige Tropfen Harz traten aus seinen Trieben hervor, denn er konnte nicht nur die Gedanken der Menschen lesen, sondern auch in ihrem Schicksal und was sein würde für dieses herrliche Kind machte ihn über die Maßen traurig. "Wie gerne würde ich deine Stimme heilen," sagte er, "aber ich vermag es nicht. Willst du mir noch ein Gutes tun, mein liebes Kind. Gehe zu der jungen Rose,
dies ist meine Braut und sie trägt meine Kinder.
Pflücke soviele, wie du in deinem Kitteltäschchen bergen kannst und frag nicht, warum."
Das Tinkerkind folgte dem Wunsch des alten Rosenstocks und füllte ihre Kitteltasche mit den herrlichen Früchten der jungen Rose. Vielleicht würde sie sich daraus eine Kette machen, dachte sie. Schließlich würde sie niemals anderen als diesen Schmuck bekommen. Am nächsten Morgen zogen die Tinker fort und auch wir wollen das Schloß und seine Menschen verlassen und den Wanderer auf ihrer Reise folgen. Alles dies geschah kurz nach der Zeit, als die Hungersnot Irland in den Würgegriff genommen hatte und die Kartoffelernten verdarben. Tausende verließen das Land und gingen nach Amerika und noch einmal Tausende verhungerten. So hatte das Glück auch die Tinker verlassen und Ort für Ort, den sie durchzogen, war verlassen oder sie wurden fortgetrieben wie räudige Hunde, weil die Menschen Angst um ihr letztes bißchen hatten.
Wieder hielten sie an einem großen Gehöft und der Landwirt zeigte sich freundlicher.

Er ließ sie lagern und gab ihnen etwas Arbeit und Essen. Belle streunte durch die Wiesen und Felder und traf dort auf einen Knecht. Als er in ihre Augen blickte, erkannte sie gleich die Gefahr. Aber es war zu spät, um zu entkommen. Sie erkannte am Blick des Mannes seine Absichten, obwohl sie völlig unschuldig war und von den dunklen Trieben mancher Menschen keine Ahnung hatte.
Schreien konnte sie nicht und das wölfische Grinsen des Unholds wurde breiter und gefährlicher.
Wie aus dem Erdboden entwachsen stand plötzlich ihr Vater hinter ihr. Als sie ihn hilfesuchend ansah,
erschrak sie bis in die tiefsten Spitzen ihrer kindlichen Seele. Der Mann, den sie ihren Vater nannte und dem sie vertraute, war nicht mehr in dem Körper, der vor ihr stand. Sie konnte dieses Wesen nicht aufhalten, ja nicht einmal mehr erreichen. Wie eine Katze schnellte der Tinker vor und griff den Knecht mit einer schnellen Bewegung bei der Kehle. Mit der freien Hand drängte er in den Mund seines Opfers und riß mit einer einzigen Armbewegung dessen Zunge aus dem Hals. Dabei stieß er kehlige, dumpfe Laute aus und wechselte dann in seine Muttersprache: "Du willst mein armes stummes Kind schänden, dann sollst du nie mehr sprechen, so ergeht es dir wie ihr." Der Knecht fiel von der Heftigkeit des Schmerzes in Ohnmacht.
Als Borgas aus seinem Wahn erwachte, hielt er noch die blutende Zunge seines Gegners verkrampft in der Hand. Er sah das Objekt an, als wüßte er nicht, wie es dorthin gekommen sein könnte. Seine Sinne kehrten zurück und begriff, was er vor den Augen seiner geliebten Belle angerichtet hatte.
Er fiel ins Gras und weinte haltlos.

Belle war an der Stelle erstarrt, wo sich das Unfaßbare zugetragen hatte und konnte sich nicht bewegen. In einer Sekunde war ihre Kindheit zuende gewesen und der Schock über die feurige und böse Seite der Seele ihres Volkes und ihres Vaters war ihr in die Glieder gefahren. Die Tinker zogen weiter.
Belle hatte zum Wagen getragen werden müssen und war seit Tagen in Schlaf verfallen. Ein Schlaf, aus dem sie nicht mehr erwachte. Am fünften Tag nach ihrer Abfahrt atmete sie nicht mehr und war in eine bessere Welt hinübergegangen. Borgas war von namenlosen Leid erfaßt. Er trug seine Tochter zu Grabe und spielte zwei Tage und zwei Nächte an ihrem Grab die Geige. Selbst die hartgesottensten Tinker konnten die Traurigkeit seiner Weisen am Ende nicht mehr ertragen und baten ihn, mit fortzukommen. Borgas brabbelte im Fieber. Wenigstens habe sie einen sauberen Rock an, wenn es auch keinen Sarg und kein Kreuz gegeben habe. Sie ist jetzt bei ihrer Mutter, aber ich habe sie auf dem Gewissen.
Diese Last konnte ihm keiner seiner Leute nehmen. Sie wußten, daß man seine Schuld ertragen muß und niemand kann sie einem von den Schultern nehmen.

So lag das Grab, welches als solches nicht zu erkennen war wohl zwei Jahre, als sich Triebe aus dem Boden drängten.
Die Hagebutten, die Belle immer noch in der Kitteltasche gehabt hatte als sie beigesetzt wurde, hatten zu keimen begonnen.
Nach einigen Jahren waren die Rosen, die Kinder des alten Rosenstocks und der jungen Rosen, herangewachsen. Jemand aus der Gegend fand sie und schnitt Reiser für seinen Garten. Die Blüten waren leuchtend orange und nickten leicht im Wind wie Glöckchen.
Der Gärtner nannte sie deshalb Tinker Bell nach der feenhaften Begleiterin von Peter Pan, die mit der Stimme eines Glöckchen spricht.
So bekamen sie den richtigen Namen, obwohl der Gärtner das Schicksal von Tinker Belle, dem Zigeunerkind, nicht kannte.

Der alte Rosenstock hat mir aufgetragen, euch die Wahrheit über Tinker Belle zu berichten.
Ihm war es sehr wichtig und ich hoffe, ihr könnt ein Geheimnis bewahren.