rosen
 
   
"Die Rose des Paracelsus"


De Quincey, «Writings» XIII 345

JORGE LUIS BORGES

1899-1986


In seiner Werkstatt, die die beiden Kellerzimmer umfaßte, bat Paracelsus seinen Gott, seinen unbestimmten Gott, irgendeinen Gott, daß er ihm einen Schüler schicke. Es wurde Abend. Das spärliche Feuer im Kamin warf unregelmäßige Schatten. Aufzustehen, um die Eisenlampe anzuzünden, war zuviel Mühe. Geistesabwesend vor Müdigkeit, vergaß Paracelsus sein Bittgebet. Die Nacht hatte die staubigen Alembiks und den Athanor ausgelöscht, als es an die Tür klopfte. Schläfrig erhob sich der Mann, stieg die kurze Wendeltreppe empor und öffnete einen Türflügel. Ein Unbekannter trat ein. Auch er war sehr müde. Paracelsus wies ihn zu einer Bank; der andere setzte sich und wartete. Eine Zeitlang wechselten sie kein Wort.
Der Meister sprach als erster. «Ich erinnere mich an Gesichter des Okzidents und an Gesichter des Orients», sagte er nicht ohne eine gewisse Feierlichkeit. «An deines erinnere ich mich nicht. Wer bist du, und was willst du von mir?»
«Mein Name tut nichts zur Sache», erwiderte der andere. «Drei Tage und drei Nächte bin ich gewandert, um in dein Haus zu gelangen. Ich möchte dein Schüler sein. Ich habe dir all meinen Besitz mitgebracht.»

Er holte einen Leinenbeutel hervor und entleerte ihn auf den Tisch. Es waren viele Münzen und sie waren aus Gold. Er tat es mit der rechten Hand. Paracelsus hatte ihm den Rücken gekehrt, um die Lampe anzuzünden. Als er sich umwandte, bemerkte er, daß die Linke eine Rose hielt. Die Rose beunruhigte ihn.
Er lehnte sich zurück, legte die Fingerspitzen aneinander und sagte: « Du glaubst, ich sei imstande, den Stein zu schaffen, der alle Elemente in Gold verwandelt, und du bietest mir Gold. Es ist nicht Gold, was ich suche, und wenn dir an Gold gelegen ist, wirst du niemals mein Schüler sein.»
«Mir liegt nichts am Gold», entgegnete der andere. «Diese Münzen sind nichts weiter als ein Beweis meines Arbeitswillens. Ich möchte, daß du mich die Kunst lehrst. Ich möchte an deiner Seite den Weg gehen, der zum Stein führt.»
Paracelsus sagte langsam: «Der Weg ist der Stein. Der Ausgangspunkt ist der Stein. Wenn du diese Worte nicht begreifst, hast du noch gar nicht angefangen zu begreifen. Jeder Schritt, den du gehst, ist das Ziel.»
Der andere sah ihn mißtrauisch an. Er sagte mit klarer Stimme: «Aber es gibt doch ein Ziel?»
Paracelsus lachte.
«Diejenigen, die mich schmähen und die ebenso zahlreich wie dumm sind, sagen nein und nennen mich einen Hochstapler. Ich gebe ihnen nicht recht, doch es ist nicht ausgeschlossen, daß das ein Irrtum ist. Ich weiß, es gibt einen Weg.»
Sie schwiegen, dann sagte der andere: «Ich bin bereit, ihn mit dir zu gehen, und sollte er viele Jahre in Anspruch nehmen. Laß mich durch die Wüste wandern. Laß mich wenigstens von fern das Land der Verheißung erblicken, obwohl die Gestirne mir den Eintritt verwehren.
Ich begehre einen Beweis, ehe ich mich auf den Weg mache.»
«Wann? » fragte Paracelsus beunruhigt.
«Jetzt sofort», sagte der Schüler mit jäher Bestimmtheit.
Zunächst hatten sie lateinisch gesprochen; jetzt deutsch.

Der junge Mann hob die Rose hoch.
«Man sagt», sprach er, «du könntest eine Rose verbrennen und sie mit Hilfe deiner Kunst aus der Asche wieder auferstehen lassen. Laß mich Zeuge dieses Wunders sein. Darum bitte ich dich, und danach gehört mein ganzes Leben dir.»
«Du bist sehr leichtgläubig», sagte der Meister: «Leichtgläubigkeit habe ich nicht nötig; ich verlange Glauben.»
Der andere gab nicht nach.
«Eben weil ich nicht leichtgläubig bin, möchte ich mit eigenen Augen die Vernichtung und Auferstehung der Rose sehen.»
Paracelsus hatte sie ihm abgenommen und spielte mit ihr, während er sprach. «Du bist leichtgläubig», sagte er. «Du sagst, ich bin imstande, sie zu vernichten?»
«Niemand ist außerstande, sie zu vernichten», sagte der Schüler.
«Du täuschst dich. Glaubst du vielleicht, es könne irgend etwas dem Nichts überantwortet werden? Glaubst du, Adam im Paradies hätte eine einzige Blume oder einen Grashalm vernichten können?»
«Wir sind nicht im Paradies», sagte der junge Mann starrköpfig. «Unter der Sonne hier ist alles sterblich. »
Paracelsus war aufgestanden. «Wo sonst wären wir denn? Glaubst du, daß die Gottheit einen Ort schaffen kann, der nicht das Paradies ist? Glaubst du, daß der Sündenfall etwas anderes ist als nicht zu wissen, daß wir im Paradies sind?» «Eine Rose kann verbrennen», sagte der Schüler herausfordernd.
«Es ist noch Feuer im Kamin», sagte Paracelsus. «Wenn du diese Rose auf die Glut wirfst, wirst du glauben, daß sie verglüht und daß die Asche wirklich ist. Ich sage dir, daß die Rose ewig ist und daß nur ihre Erscheinung sich ändern kann. Es bedarf einzig eines Wortes von mir, damit du sie von neuem siehst.»

«Eines Wortes?» sagte der Schüler verwundert. «Der Athanor ist erloschen, und die Alembiks sind voll von Staub. Was tust du, um sie wiederauferstehen zu lassen?» Paracelsus sah ihn traurig an. «Der Athanor ist erloschen», wiederholte er, «und die Alembiks sind voll von Staub. Auf dieser Strecke meiner langen Reise gebrauche ich andere Instrumente.»
«Ich wage nicht zu fragen, welche das sind», sagte der andere verschlagen oder demütig.
«Ich spreche von dem, was die Gottheit gebrauchte, um Himmel und Erde zu schaffen und das unsichtbare Paradies, in dem wir uns befinden und das uns durch die Erbsünde verborgen ist. Ich spreche von dem Wort, das uns die Wissenschaft der Kabbala lehrt.» Der Schüler sagte kalt: «Bitte sei so gnädig, mir das Verschwinden und Wiedererscheinen der Rose zu zeigen. Es ist mir gleichgültig, ob du Brennkolben benutzt oder das Wort.»
Paracelsus überlegte. Schließlich sagte er: «Wenn ich es täte, würdest du sagen, daß es sich um eine Erscheinung handelt, die dir deine Augen vorzaubern. Das Wunder gibt dir nicht den Glauben, den du suchst. Laß also die Rose.»
Der junge Mann sah ihn noch immer mißtrauisch an. Der Meister erhob die Stimme und sagte: «Außerdem, wer bist du denn, ins Haus eines Meisters einzudringen und von ihm ein Wunder zu verlangen? Was hast du geleistet, um eine solche Gabe zu verdienen?»

Der andere antwortete unsicher: «Ich weiß schon, daß ich nichts geleistet habe. Ich bitte dich im Namen der vielen Jahre, die ich lernend in deinem Schatten verbringen werde, daß du mir die Asche und danach die Rose zeigst. Um weiteres bitte ich dich nicht. Ich glaube dem, was meine Augen mir bezeugen.»
Jäh nahm er die rote Rose, die Paracelsus auf dem Pult hatte liegen lassen, und warf sie in die Flammen. Die Farbe verlosch, und übrig blieb nur ein wenig Asche. Einen unendlichen Augenblick lang hoffte er auf die Worte und das Mirakel.
Paracelsus war gelassen geblieben. Mit sonderbarer Schlichtheit sagte er: «Alle Ärzte und alle Apotheker Basels behaupten, daß ich ein Schwindler bin. Vielleicht haben sie recht. Dort ist die Asche, die die Rose gewesen ist und sie nicht wieder sein wird.»
Der junge Mann empfand Scham. Paracelsus war ein Scharlatan oder ein bloßer Phantast, und er, der Eindringling, war in sein Haus gekommen und hatte ihn nunmehr genötigt zuzugeben, daß seine berühmten magischen Künste ohne Wirkung waren.
Er kniete nieder und sagte: «Ich habe unverzeihlich gehandelt. Es fehlte mir der Glaube, den der Herr von den Gläubigen verlangt hat. Laß mich weiter die Asche sehen. Ich kehre zurück, wenn ich stärker bin, und dann werde ich dein Schüler sein und am Ende des Wegs die Rose sehen.»

Er sprach mit wahrer Leidenschaft, doch diese Leidenschaft war das Mitleid, das ihm der alte, so verehrte, so umworbene, so illustre und darum so hohle Meister einflößte. Wer war er, Johannes Grisebach, mit frevelhafter Hand zu entdecken, daß hinter der Maske niemand war?
Ihm die Münzen dazulassen wäre ein Almosen gewesen. Beim Hinausgehen nahm er sie wieder an sich. Paracelsus begleitete ihn zum Fuß der Treppe und sagte, daß er in diesem Fall jederzeit willkommen wäre. Beide wußten, daß sie sich nicht wiedersehen würden.
Paracelsus blieb allein. Bevor er die Lampe löschte und sich ermattet in den Sessel niederließ, nahm er das feine Häufchen Asche in die hohle Hand und sagte mit leiser Stimme ein Wort.
Die Rose erstand aufs neue.

(F.K.)


Quelle:

"Rosen"
Texte aus der Weltliteratur
Herausgegeben von Anne Marie Fröhlich

Manesse Bibliothek der Weltliteratur
© Manesse Verlag Zürich 1997
ISBN 3-7175-1902-6