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"Der gestreifte Kater und die Schwalbe Sinha"
Jorge Amado
Eine Liebesgeschichte
Die Zeit des Winters
Dies müßte ein langes Kapitel sein, weil der Beginn des Winters eine Zeit der Leiden war. Aber warum soll man von traurigen Dingen reden, warum soll man von den Bosheiten des Gestreiften Katers erzählen, dessen Augen so grau waren, daß sie ganz dunkel wirkten?
Von seiner Boshaftigkeit sprachen die Briefe der Parkbewohner, Briefe, die der Brieftäuber in andere, weit entfernte Parks trug. Die Nachrichten gelangten bis zu dem fernen Schlupfwinkel der Klapperschlange, und auch sie begann vor Angst zu zittern. Die Briefe erzählten davon, wie böse der Kater war, aber sie sprachen auch von seiner Einsamkeit. Niemals wieder hatte der Gestreifte Kater mit irgend jemandem gesprochen. Diese unendliche Einsamkeit rührte sogar die Teerose, die ihrem neuen Liebhaber, dem Jasmin, anvertraute: "Der Ärmste! Er lebt so einsam, er hat nichts und niemanden auf der Welt."
Die Teerose täuschte sich, wenn sie dachte, daß der Gestreifte Kater einsam lebte und nichts und niemanden auf der Welt hätte. Ganz im Gegenteil, er trug in sich eine Welt von Erinnerungen, von süßen Erlebnissen, freudigen Gedanken an frühere Zeiten. Ich kann zwar nicht sagen, daß er glücklich gewesen wäre und daß er nicht gelitten hätte. Er litt, aber noch war er nicht verzweifelt, noch nährte er sich von dem, was die Schwalbe ihm vorher gegeben hatte. Traurig war er dennoch, weil sich das Glück nicht nur von den Erinnerungen an die Vergangenheit nähren kann, es braucht auch Zukunftsträume.
An einem Tag voll milder Wintersonne wurde die Heirat zwischen der Schwalbe und dem Nachtigall vollzogen. Es gab ein großes Fest, einen Tisch voller Süßspeisen, und der Sekt floß in Strömen. Die standesamtliche Trauung fand im Haus der Braut statt, der Hahn war Standesbeamter und hielt eine feurige Rede über die Pflichten und Tugenden einer guten Ehefrau, besonders über die Treue, die sie dem Ehemann schuldig sei. Von der Treue des Mannes zur Frau sprach er nicht. Er war Mohammedaner und kein Heuchler: Jedem ist bekannt, daß der Hahn Don Juan de Rhode Island einen Harem sein eigen nennt. Die kirchliche Trauung fand auf dem Orangenbaum, der schönen Kapelle des Parks, statt. Seine Hochwürden Pater Aasgeier kam eigens aus einem weit entfernten Kloster, um die kirchliche Zeremonie zu vollziehen. Der Papagei diente als Sakristan, und am Abend trank er einen über den Durst. Die Rede des Aasgeiers ging zu Herzen. Die Mutter der Schwalbe vergoß viele Tränen. Als der Hochzeitszug, von einem Vogelschwarm umgeben, die Kapelle verließ, sah die Schwalbe den Kater in seinem Winkel sitzen. Ich weiß nicht, wie sie es anfing, aber es gelang ihr, im Fluge das Blütenblatt einer roten Rose aus ihrem Brautstrauß über ihm fallen zu lassen. Der Kater legte es auf seine Brust, und es sah aus wie ein Blutstropfen.
Damit die Geschichte ein fröhliches Ende nehmen könnte, müßte ich das Fest beschreiben, das die Eltern der Schwalbe Sinha am Abend veranstalteten. Vielleicht müßte ich auch ein paar von den Anekdoten erzählen, mit denen der Papagei die Hochzeitsgäste unterhielt. Alle Parkbewohner waren gekommen, alle außer dem Gestreiften Kater. Die Morgenfrühe beschrieb dem Vater Zeit die Feier in aller Ausführlichkeit, sie wußte Einzelheiten über die Festkleider, über die Speisenfolge, über den Tisch mit den Süßspeisen, über die Dekoration des Festsaals, Aber der Leser mag sich alle diese Dinge nach seinem Geschmack ausmalen.
Ich will nur noch erwähnen, daß das Orchester der Vögel sehr lieblich aufspielte und daß seine melodischen Klänge bis zu dem Gestreiften Kater drangen, der einsam im Park zurückgeblieben war. Nun gab es keine Zukunft mehr, mit der er seinen Traum der unmöglichen Liebe nähren konnte. Es war eine Nacht ohne Sterne, die Hochzeitsnacht der Schwalbe Sinha. Er hatte nur ein rotes Blütenblatt auf dem Herzen, einen Tropfen Blut.
Die Nacht ohne Sterne
Die Musik tat ihm im Herzen weh. Ein Hochzeitslied für die Brautleute, für den Gestreiften Kater ein Grabgesang. Er nahm das Rosenblatt, betrachtete noch einmal den Park, den der Winter einhüllte, und ging langsam davon. Er kannte in weiter Ferne einen Ort, an dem nur die Klapperschlange lebt, der alle den Zutritt zu den Parks oder Pflanzungen verwehren. Der Kater wandte sich den schmalen Pfaden zu, die zum Kreuzweg am Ende der Welt führen.
Als er am Festhaus vorüberging, sah er die Brautleute herauskommen. Auch die Schwalbe sah ihn und erriet, wohin er seine Schritte lenkte. Da fiel etwas vom Himmel auf das Blütenblatt, das der Kater in der Pfote trug. Auf dem Blutrot des Rosenblattes erglänzte das Licht einer Träne der Schwalbe Sinha. Es erleuchtete den einsamen Weg des Gestreiften Katers durch die Nacht ohne Sterne. Hier endet die Geschichte, die der Wind der Morgenfrühe erzählte.
Sie berichtete sie dem Vater Zeit, der ihr die versprochene blaue Rose schenkte. An manchen Frühlingstagen steckt die Morgenfrühe diese blaue Rose aus alten Zeiten auf ihr leuchtendes Kleid. Und dann sagt man, ein strahlender, blauer Morgen ist heraufgezogen.
Amen (schloß der Papagei).
Quelle:
Jorge Amado
"Der gestreifte Kater und die Schwalbe Sinha"
Eine Liebesgeschichte
Titel der brasilianischen Originalausgabe:
O GATO MALHADO E A ANDORINHA SINHA
UMA HISTORIA DE AMOR
Aus dem Portugiesischen von Roland Erb
Illustrationen von Carybe
1. Auflage
(C) Verlag Volk und Welt, Berlin 1979
(deutschsprachige Ausgabe)
Copyright (c) 1976 by Jorge Amado
L. N. 502, 4IO/I22/79
Printed in the German Democratic Republic
Alle Rechte für die Deutsche Demokratische Republik vorbehalten
Einbandentwurf: Klaus Krüger
Lichtsatz: INTERDRUCK Graphischer Großbetrieb Leipzig - 111/18/97
Druck und Einband: Sachsendruck Plauen
LSV 7560
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DDR 11,80 M
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