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"Retten wir den Kosmos"


(Offener Brief Ijon Tichys)

Stanislaw Lem
"Sterntagebücher"
Titel der Originalausgabe
DZIENNIKI GWIAZDOWE
erschienen bei Czytelnik, Warszawa 1971






Nach längerem Aufenthalt auf der Erde machte ich mich auf, die beliebtesten Orte meiner früheren Expeditionen zu besuchen - die kugelförmigen Haufen des Perseus, die Konstellation des Kalbes und die große Sternenwolke am Kern der Milchstraße. Überall fand ich Veränderungen vor, von denen es mir schwer fällt zu schreiben, weil das keine Veränderungen zum Besseren sind. Man spricht jetzt viel von der Verbreitung der kosmischen Touristik. Zweifellos ist die Touristik eine ausgezeichnete Sache, aber alles muß seine Grenzen haben.
Die Unordnung fängt gleich hinter der Schwelle an. Der zwischen dem Mars und der Erde kreisende Asteroidengürtel ist in einem beklagenswerten Zustand. Die monumentalen Felsenbrüche, einst in ewige Nacht getaucht, werden mit Elektrizität erhellt, und obendrein ist jeder Abhang mit emsig eingeritzten Initialen und Monogrammen übersät.
Der besonders bei flirtenden Pärchen beliebte Eros zittert förmlich von den Schlägen, mit denen hausbackene Kalligraphen ihre Erinnerungsinschriften in seine Rinde hämmern. Clevere Schlauköpfe verleihen zu diesem Zweck an Ort und Stelle Hämmer, Meißel und sogar pneumatische Bohrer, so daß man heute nicht einmal in der wildesten Einöde jungfräuliche Felsen findet.

Überall sieht man aufdringliche Inschriften wie: "Ich liebe Dich mehr als mein Leben, lass uns auf diesem Meteoriten danach streben", "Das sind eines Asteroiden Reste, darunter unserer Liebe Feste" und ähnliche Ergüsse, verziert mit pfeildurchbohrten Herzen - all das in schlechtestem Geschmack. Auf der Ceres, an der - ich weiß nicht aus welchem Grunde - vielköpfige Familien besonderen Gefallen gefunden haben, grassiert eine wahre Foto-Plage. Dort streunen viele Fotografen herum, die nicht nur Skaphander zum Posieren ausleihen, sondern auch die Bergwände mit einer besonderen Emulsion bestreichen und für ein geringes Entgelt darauf ganze Ausflüglerscharen verewigen; die auf diese Weise hergestellten Bilder überziehen sie der Festigkeit halber mit Glasur. Die entsprechend posierten Familien - Vater, Mutter, Großeltern, Kinder - lächeln von den Felsenhängen herab, was, wie ich in einem Prospekt las, eine ,,gemütliche Familienatmosphäre" erzeugen soll. Was die Juno betrifft, so gibt es diesen einst so schönen kleinen Planeten fast gar nicht mehr, jeder, dem es gefällt, spaltet von ihm Felsen ab und wirft sie ins Vakuum. Man hat weder die Eisennickelmeteoriten geschont, die für Erinnerungsringe und Klammern draufgingen, noch die Kometen. Selten erscheint jetzt einer mit ganzem Schweif.
Ich dachte, ich würde vor dem Gedränge der Kosmosbusse und vor diesen Familienbildern auf Felsen mitsamt den graphomanischen Versen fliehen können, wenn ich aus dem Sonnensystem hinausgelangte, aber weit gefehlt!Professor Bruckee vom Observatorium klagte jüngs tüber den schwächer werdenden Schein beider Gestirne des Zentaurus.

Wie soll er auch nicht schwächer werden, da doch die ganze Gegend mit Müll angefüllt ist! Um den schweren Planeten des Sirius, der Attraktion dieses Systems, hat sich ein Ring gebildet, der an die Ringe des Saturns erinnert, nur ist er aus Bier- und Brauseflaschen entstanden. Der Kosmonaut, der diese Tour fliegt, muß heute nicht nur Meteorenwolken ausweichen, sondern auch Konservenbüchsen, Eierschalen und alten Zeitungen. Es gibt dort Stellen, wo man nicht einmal mehr die Sterne sehen kann.Die Astrophysiker zerbrechen sich seit Jahren den Kopf über die Ursachen, die den beträchtlichen Unterschied der kosmischen Staubmengen in den verschiedenen Milchstraßen hervorrufen. Ich denke mir, daß die Sache ganz einfachzu erklären ist - je höher die Zivilisation in der Milchstraße, desto mehr Schmutz gibt es dort, desto mehr Staub, desto mehr Unrat.

Das Ganze ist nicht so sehr ein Problem für die Astrophysiker als vielmehr für die Feger. Wie man sieht, wusste man sich auch in anderen Nebelflecken nicht zu helfen, aber das ist fürwahr ein geringer Anlass zur Genugtuung. Ein verwerfliches Spiel ist auch das Spucken in den Weltraum; wie jede Flüssigkeit gefriert nämlich bei niedriger Temperatur auch der Speichel, und ein Zusammenstoß mit solchen Eisbröckchen kann leicht zu einer Katastrophe führen. Es ist peinlich, davon zu reden, aber die Personen, die gewöhnlich während der Reise erkranken, scheinen den Kosmos für eine Art Spucknapf zu halten, als wüssten sie nicht, daß die Spuren ihres Gebrechens dann Millionen Jahre in Umlaufbahnen kreisen und bei den Touristen unangenehme Assoziationen und verständlichen Unwillen erwecken.

Ein besonderes Problem ist der Alkoholismus. Hinter dem Sirius begann ich die im Vakuum angebrachten riesigen Aufschriften zu zählen, die den "Marsjanischen Bitteren", den "Milchstraßenverschnitt", den "Extra Mondbrandy" oder den "Edelsputnik" anpriesen - ich ließ das Lesen bald sein, denn ich verlor den Überblick. Wie ich von Piloten hörte, waren einige Kosmosdrome gezwungen, vom Alkoholbrennstoff auf Stickstoffsäure überzugehen, denn es kam vor, daß im Bedarfsfall nichts vorhanden war, womit man starten konnte. Der Patrouillendienst beteuert immer wieder, daß es im Weltraum sehr schwer sei, einen Betrunkenen von weitem zu erkennen; Alle führen ihre schwankenden Schritte und Bewegungen auf den Mangel an Gravitation zurück. Aber das ändert nichts an der Tatsache, daß die Praktiken einiger Bedienungsstationen einfach zum Himmel schreien. Ich selbst hatte einmal Gelegenheit, um das Nachfüllen der Reserveflaschen mit Sauerstoff zu bitten, worauf ich, nachdem ich mich um ein Parsek entfernt hatte, ein merkwürdiges Glucksen vernahm und mich davon überzeugte, daß man mir reinen Kognak eingegossen hatte! Der Leiter der Station behauptete steif und fest, ich hätte geblinzelt, als ich mit ihm gesprochen hatte. Vielleicht hatte ich dies wirklich getan, denn ich leide an einer Augenlidentzündung, aber kann das einen solchen Sachverhalt rechtfertigen?
Unerträglich ist auch das Durcheinander, das auf den Hauptflugstrecken herrscht. Die gewaltige Zahl der Unfälle ist nicht verwunderlich, wenn so viele Leute systematisch gegen die Vorschriften verstoßen, die die Geschwindigkeit begrenzen. Vor allem tun das die Frauen, denn durch höheres Reisetempo verlangsamen sie den Zeitablauf und altern nicht so schnell. Oft begegnet man Wegelagerern, zum Beispiel den alten Kosmobussen, die die ganze Ekliptik mit Wolken von Auspuffgasen verunreinigen.

Als ich auf Polyndronien das Beschwerdebuch verlangte, wurde mir erklärt, ein Meteor habe es am Vortage zerschmettert. Schlecht steht es auch um die Belieferung mit Sauerstoff. Sechs Lichtjahre vor Belurien kann man ihn nirgends mehr bekommen, und im Endeffekt müssen die Menschen, die dort als Touristen hingekommen sind, sich in Kühlschränke legen und im Zustand des umkehrbaren Todes warten, bis der nächste Lufttransport ankommt, denn lebend hätten sie nichts zu atmen. Als ich dort eintraf, gab es auf dem Kosmodrom nicht eine Menschenseele, alle hibernisierten in Kühlaggregaten, aber im Büfett erblickte ich eine vollständige Sammlung von Getränken - von Ananas in Kognak bis zu Pilsener Bier.Die sanitären Bedingungen, vor allem auf den Planeten,
die zum Großen Reservat gehören, schreien zum Himmel. In der "Stimme Mersituriens" las ich einen Artikel, in dem das Abschlachten jener großartigen Tiere gefordert wird, wie es die schluckenden Lauerer sind. Diese Raubtiere besitzen auf der Oberlippe eine Reihe leuchtender Warzen, die verschiedene Muster bilden. In der Tat erscheint in den letzten Jahren immer häufiger eine Variante, bei der die Warzen zwei Nullen bilden. Diese Lauerer wählen gewöhnlich die Nähe von Campinglagern, wo sie nachts im Dunkeln mit breit aufgerissenen Rachen auf Personen warten, die im Begriff sind, ein stilles Örtchen aufzusuchen? Begreift der Verfasser des Artikels nicht, daß diese Tiere völlig unschuldig sind und daß man statt ihrer diejenigen anklagen sollte, die für den Mangel an entsprechenden sanitären Einrichtungen verantwortlich sind?

Auf ebendiesem Mersiturien hat der Mangel an kommunalen Bequemlichkeiten eine ganze Serie genetischer Mutationen bei den Insekten hervorgerufen.An Orten, die durch ihre landschaftliche Schönheit bekannt sind, kann man bisweilen bequeme, aus Weidenruten geflochtene Sessel sehen, die den ermüdeten Fußgänger zur Rast einzuladen scheinen.Wenn sich jemand nun zufrieden zwischen den lockenden Lehnen niederlässt, überfallen ihn diese, und das angebliche Möbelstück erweist sich als eine Sammlung Tausender fleckiger Ameisen (stuhlartige Quälameise, multipodium pseudostellatum Trylopii), die sich entsprechend übereinander gereiht haben und einen geflochtenen Stuhl vortäuschen.

Mir ist zu Ohren gekommen, daß andere Arten von Gliederfüßlern (wimprige Ohnekrieche, unsauerer Nassreiber und Stockinaug Brutälchen) unter anderem Kioske mit Sodawasser,Hängematten und sogar Brausebäder mit Wasserhähnen und Handtüchern
vortäuschen, aber für die Richtigkeit dieser Behauptungen kann ich mich nicht verbürgen, denn ich habe nichts dergleichen gesehen, und die myrmekologischen Autoritäten schweigen sich in dieser Sache aus. Dagegen lohnt es sich, vor der ziemlich seltenen Variante des teleskopartigen Schlangenbeiners (anencephalus pseudoopticus tripedius Klaczkinesis) zu warnen. Dieses teleskopartige Wesen postiert sich ebenfalls an Stellen mit schönen Aussichten, indem es seine drei dünnen und langen Beine in der Form eines Dreifußes aufstellt und mit dem erweiterten Tubus des Schwanzes in die Landschaft zielt; mit dem Speichel indes, der seine Mundöffnung ausfüllt, ahmt es eine Fernrohrlinse nach und verleitet auf diese Weise zum Hineinschauen, was für den Unvorsichtigen überaus unangenehm enden kann. Eine andere Schlange jedoch auf dem Planeten

Gaurimachien, der Kipper Vorhalter (serpens vitiosus Reich enmantlii), lauert im Gebüsch und hält dem unvorsichtigen Fußgänger den Schwanz hin, damit er darüber stolpert und hinfällt, aber -erstens lebt diese Schlange ausschließlich von Blonden, und zweitens täuscht sie nichts und niemanden vor.
Der Kosmos ist kein Kindergarten und die biologische Evolution keine Idylle. Man sollte Broschüren herausgeben, ähnlich denen, wie ich sie auf Derdymon gesehen habe, in denen die Botanikeramateure vor der Grausamen Wunderblume (pliximigiaquia bombardans L.) gewarnt werden. Sie prangt in prächtigen Blüten, man muß sich aber der Lust, sie zu pflücken, enthalten, denn sie lebt in einer engen Symbiose mit der Steinigen Zermalmerin, einem Baum, der Früchte von den Ausmaßen eines Kürbisses trägt, die obendrein gehörnt sind. Es genügt, eine Blüte zu pflücken, und schon prasselt auf den Kopf des unvorsichtigen Pflanzensammlers ein Hagel steinharter Geschosse nieder. Weder die Wunderblume noch die Steinige Zermalmerin tun dann dem Erschlagenen etwas Böses an, sie begnügen sich mit den natürlichen Folgen seines Todes, das heißt mit der Düngung des Bodens in ihrer Nähe.

Die Wunder der Mimikry trifft man übrigens auf allen Planeten des Reservats an. So irisieren zum Beispiel die Savannen Beluriens von den buntesten Blumen, unter denen eine tiefrote Rose von wunderbarer Schönheit und herrlichem Geruch auffällt (rosa mendatrix Tichiana - wie Professor Pingle sie zu benennen beliebte, denn ich habe sie als Erster beschrieben). Die angebliche Blume ist im Grunde ein Gewächs auf dem Schwanz des Angelfängers, eines belurischen Raubtieres. Der ausgehungerte Angelfänger versteckt sich im Dickicht, nachdem er seinen langen Schwanz weit nach vorn ausgerollt hat, so daß nur die Blume aus dem Gras hervorlugt. Nichts ahnend nähert sich dieser Blume ein Tourist, um daran zu riechen, und schon springt ihn das Ungeheuer von hinten an. Es hat Hauer wie ein Elefant. Daraus ist zu ersehen, wie wundersam sich die kosmische Variante der Redewendung bewahrheitet, daß es keine Rose ohne Dornen gibt! Obgleich ich eigentlich etwas vom

Thema abschweife, kann ich mich nicht enthalten, noch ein weiteres belurisches Wunder zu erwähnen, sozusagen eine entfernte Verwandte der Kartoffel - die Vernünftige Bitternishafte (gentiana apiens suicidalis Pruck). Ihre Knollen sind süß und sehr schmackhaft, der Name bezieht sich auf gewisse seelische Eigenschaften. Die Bitternishafte erzeugt bisweilen infolge Mutation anstelle der gewöhnlichen mehligen Knollen - kleine Hirne. Diese Variante, die Rasende Bitternishafte gentiana mentecapta), beginnt in dem Maße, wie sie wächst, Unruhe zu verspüren; sie rodet sich, geht in den Wald, gibt ich einsamen Betrachtungen hin und gelangt gewöhnlich zu der Schlussfolgerung, daß es sich nicht lohne zu leben. Alsdann begeht sie Selbstmord, nachdem sie die Bitterkeit ihre Existenz begriffen hat.

Für den Menschen ist die Bitternishafte unschädlich, im Gegensatz zu einer anderen belurischen Pflanze - dem Wüterich. Dank der natürlichen Anpassung hat sich diese; den Milieubedingungen angeglichen, wie sie unerträgliche Kinder erzeugen. Solche Kinder, die ununterbrochen herumlaufen, alles schieben und stoßen, was ihnen vor die Beim kommt, zerschlagen mit Vorliebe die Eier des hinterschaligen Scharfreizes; der "Wüterich erzeugt als Früchte nämlich Gebilde, die diesen Eiern täuschend ähnlich sind. In den Glauben, ein Ei vor sich zu haben, läßt das Kind seinen Zerstörungstrieb freien Lauf, stößt es mit den Füßen und zerschlägt es; dadurch gelangen die in diesem Pseudoei eingeschlossenen Sporen ins Freie und dringen in den Organismus des Kindes ein. Das angesteckte Kind entwickelt sich zu einem scheinbar normalen Individuum, aber nach eine gewissen Zeit kommt es zu einer unheilbaren Bösartigkeit Kartenspiel, Trunksucht und Ausschweifung bilden die jeweiligen Etappen, auf die der tödliche Abgang oder aber die große Karriere folgt. Ich bin so manches Mal auf die Meinung gestoßen, daß der Wüterich ausgemerzt werden sollte. Den Leuten kam es nicht in den Sinn, lieber die Kinder so zu erziehen, daß sie auf fremden Planeten nicht das erste beste mit Füßen stoßen.

Ich bin von Natur aus Optimist und bemühe mich nach Kräften, meine gute Meinung von den Menschen zu erhalten aber das fällt einem fürwahr nicht immer leicht. Auf der Protestenese lebt ein kleiner Vogel, die Entsprechung des irdischen Papageis, doch er redet nicht, sondern er schreibt. Leider beschmiert er mit Vorliebe Zäune, und zwar mit unanständigen Ausdrücken, die ihm die

Touristen von der Erde beibringen. Diesen Vogel treiben gewisse Leute absichtlich zur Raserei, indem sie ihm die orthographischen Fehler vorhalten. Dann beginnt er vor Wut alles zu schlucken, was er nur sieht. Man hält ihm Ingwer, Rosinen, Pfeffer sowie Kurzschrei hin, ein Kraut, das bei Sonnenaufgang einen gedehnten Schrei ausstößt (es ist ein Küchenkraut, das manchmal statt eines Weckers benutzt wird). Wenn sich das Vögelchen überfressen hat und umkommt, wird es am Spieß gebraten. Es heißt Reizbarer Schreiberling (graphomanus pasmaticus Essenbachii). Heute ist diese seltene Art von der Ausrottung bedroht, denn jeder Tourist, der auf der Protestenese eintrifft, wetzt sich schon die Zähne in Gedanken n den Leckerbissen, für den die im Fieberwahn gebratenen Schreiberlinge gelten.

Gewisse Personen glaubten, daß es durchaus in Ordnung sei, wenn wir Geschöpfe von anderen Planeten aufessen; verhält sich die Sache dagegen umgekehrt, so erheben sie ein Geschrei, rufen um Hilfe, verlangen Strafexpeditionen und so weiter. Dabei sind alle Anklagen der kosmischen Fauna oder Flora wegen Perversität und betrügerischer Neigungen ein antropomorphisierender Unfug.

Wenn der Augentäuscher, dessen Äußeres an einen morschen Stamm erinnert, sich in entsprechender Pose auf die Hinterbeine stellt und einen Wegweiser an einem Bergweg vortäuscht, indem er die Vorübergehenden auf Abwege lockt und die Hinabgestürzten dann verschlingt, um sich zu stärken - wenn er, sage ich, so handelt, dann nur, weil der Ordnungsdienst im Reservat sich nicht um die Wegweiser kümmert, von denen die Farbe abblättert, wodurch sie morsch werden und jenem Tier gleichen. Jedes andere Wesen täte an seiner Stelle das gleiche.
Die berüchtigten Fata Morganen Stredogentiens verdanken ihre Existenz ausschließlich den niedrigen Neigungen der Menschen. Früher wuchsen auf diesem Planeten zahlreiche Kälter, Wärmer gab es dagegen fast gar nicht. In der letzten Zeit haben sich diese letzteren unerhört vermehrt. Über ihren Büschen erzeugt die auf kunstvolle Weise erwärmte Luft, indem sie sich wiegt, Spiegelungen von Nachtlokalen, die schon so manchen Ankömmling von der Erde ins Verderben gestürzt haben. Es wird erzählt, die Wärmer seien an allem schuld. Aber warum ahmen die von ihnen erzeugten Fata Morganen nicht Schulen, Büchereien oder Weiterbildungsklubs nach? Warum zeigen sie immer nur Stellen, an denen alkoholische Getränke ausgeschenkt werden? Zweifellos - die Mutationen sind richtungslos - haben sie schon alle möglichen Dinge vorgespielt, aber diejenigen, die den Passanten Klubs, Bibliotheken oder Selbstbildungszirkel demonstrierten, kamen um vor Hunger - am Leben blieb nur die Bar-Variante (thermomendax spirituosus halucinogenes aus der Familie der Anthropophagen).

Die wunderbare Erscheinung dieser vollkommenen Anpassung, die den Wärmern das rhythmische Ausstoßen von Warmluft ermöglicht, in der die Spiegelung entsteht, stellt eine deutliche Anklage unserer Mängel dar. Die Selektion der Bar-Variante hat allein der Mensch hervorgerufen - durch seine bedauernswerte Natur. Ein Brief an die Redaktion des "Stredogentischen Echo" hat mich empört. Ein Leser dieser Zeitung verlangte sowohl die Ausrottung der Wärmer als auch der reizvollen Anklatsche, dieser herrlichen Bäume, die die größte Zierde eines jeden Parks bilden. Wenn man ihre Rinde anschneidet, spritzt daraus ein giftiger, blendender Saft hervor. Der Anklatsch ist der einzige stredogentische Baum, der nicht von oben bis unten mit Aufschriften und Monogrammen bekritzelt ist, und ausgerechnet auf ihn sollen wir verzichten? Ein ähnliches Schicksal steht so wertvollen Exemplaren der Fauna bevor wie dem weglosen Rächer, dem glucksenden Ertränker, dem Lauerbeißer oder dem elektrischen Heuler. Um sich und seine Nachkommenschaft vor dem nervenzerrüttenden Lärm zu retten, den die ungezählten Radiogeräte der Touristen in die Waldesstille hineingetragen haben, hat der Letztgenannte dank der Selektion eine Abart herausgebildet, die besonders lärmende Sendungen, vor allem die Jazzmusik übertönt! Die elektrischen Organe des Heulers strahlen Wellen in Form von Superheteredin aus. Diese außergewöhnliche Schöpfung der Natur sollte also recht bald unter Schutz gestellt werden.

Was die ekelhafte Stinke betrifft, so muß ich gestehen, daß der Geruch, den sie ausstößt, nicht seinesgleichen hat. Dr. Hopkins von der Universität Milwaukee hat errechnet, daß besonders energische Exemplare bis zu fünftausend Riecheinheiten pro Sekunde zu erzeugen vermögen. Aber selbst ein kleines Kind weiß schon, daß sich die Stinke nur so aufführt, wenn man sie fotografiert.
Der Anblick eines zielenden Fotoapparats löst einen Reflex aus, der als der Linsen-Schwanzreflex bezeichnet wird, mit dem die Natur dieses unschuldige Tierchen vor der Neugier der Zuschauer schützen will. Es stimmt zwar, daß die Stinke die ein wenig kurzsichtig ist, auch Gegenstände wie Tabakdosen, Feuerzeuge, Uhren, ja zuweilen selbst Orden und Medaillen für Fotoapparate hält, aber das nur deshalb, weil einige Touristen Mini-Geräte benutzen, und da kann man sich eben leicht irren. Was nun die Beobachtung angeht, das die Stinke in den letzten Jahren ihren Bereich vervielfacht habe und bis zu acht Megariecheinheiten pro Hektar produziere, so ist diese Tatsache durch die massenhafte Verwendung von Teleobjektiven zu erklären.
Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, als hielte ich sämtliche Tiere und Pflanzen im Kosmos für unantastbar. Gewiss, die schnellkauende Fressalie, der schlaksige Zerquetscher, der genießende Vielfraß, die Gesäßöffnerin, die dunkelnde Leichenbeißerin oder der Allesfresser Verdiener keine besondere Sympathie, ebenso wie all das Unkraut aus der Familie der Autarkischen, zu denen Gauleiterium flagellans, Syphonophiles Pruritualis, das heißt der scheinheilige Bäumer sowie der schreihälsige Hetzer, und die koswürgende Wächterin (lingula stranguloides Erdmenglerbeyeri) gehören.

Aber wenn man sich die Sache gut überlegt und sich um Objektivität bemüht, warum soll dann eigentlich der Mensch Blumen pflücken und sie im Herbarium trocknen können während die Pflanze, die Ohren abreißt und sie einweicht gleich als etwas Naturwidriges gilt? Wenn der mäulige Echer (echolalium impudicum Schwamps) sich auf Aedonoxien über die Maßen vermehrt hat, dann tragen auch daran wir Menschen die Schuld. Der Echer schöpft nämlich seine Lebensenergie aus Klängen - früher diente ihm dazu der Donner, deshalb lauscht er auch heute noch gern den Gewittergrollen, aber in letzter Zeit hat er sich auf Touristen umgestellt, von denen ein jeder es für seine Pflicht hält, ihr mit einem Potpourri der unflätigsten Flüche zu bedenken Der Anblick jenes Geschöpfes, das unter einem Haufen vor Beschimpfungen geradezu aufblüht, belustigt sie, wie sie behaupten. In der Tat wächst er, doch das dank der angeeigneten Energie der Lautvibrationen und nicht infolge des abstoßenden Inhalts der Worte, die angeregte Touristen ausstoßen.

Wozu führt das alles? Verschwunden von der Oberfläche er Planeten sind bereits solche Gattungen wie der blaue schnepfer oder der hartnäckige Hinterschlager. Tausende andere kommen um. Von den Wolken des Unrats werden die Flecken auf den Sonnen größer. Ich entsinne mich noch der Zeiten, da der schönste Lohn für ein Kind eine Sonntagsfahrt zum Mars war - heute dagegen isst ein launenhafter Junge, ein Frühstück nicht, wenn der Vater für ihn nicht eine Extraexplosion einer Supernova hervorruft! Wenn wir für solche Launen die kosmische Energie vergeuden, die Meteoren und

Planeten verschmutzen, die Schatzkammer des Reservats verwüsten, auf Schritt und Tritt hinter uns Schalen, Griebse und Papier in den galaktischen Räumen liegenlassen, ruinieren wir das Universum und verwandeln es in einen einzigen großen Abfallbehälter. Es ist höchste Zeit, daß wir zur Besinnung kommen und uns an die verbindlichen Vorschriften halten.

In der Überzeugung, daß jeder Augenblick es Zögerns bedrohlich ist, schlage ich Alarm und rufe zur Rettung des Kosmos auf.

Quelle:

Stanislaw Lem "Sterntagebücher"

Titel der Originalausgabe "DZIENNIKI GWIAZDOWE"
erschienen bei Czytelnik, Warszawa 1971
Aus dem Polnischen von Caesar Rymarowicz
Mit Zeichnungen des Autors

3. Auflage 1976
© Verlag Volk und Welt, Berlin 1973 (deutschsprachige Ausgabe) L.N. 302,410/178/76
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Redakteure: Kurt Kelm / Wolfgang Witt
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