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"Mexiko"
"Auf den Spuren der Azteken"
Rosenname 'Montezuma'
Heines "Vitzliputzli"
"... Forschungen über Alfons Goldschmidt in Mexiko führten mich auf einige seiner Wege, die er einst dort gegangen war. Ich fand bestätigt, daß seine Bücher "Mexiko" und "Auf den Spuren der Azteken" neben Egon Erwin Kischs Meisterwerk "Entdeckungen in Mexiko" zum Besten gehören, was im 20.Jhd. von deutschsprachigen Autoren über dieses geographisch ferne und uns heute freundschaftlich nahe Land geschrieben wurde.... (Wolfgang Kiesling)"
"Mutvoll starb Moctezuma, ergeben zwar, betroffen von der Technik der Spanier und von der Erobererenergie des Cortés, aber mit der Selbstverständlichkeit des Indio, der aus dem Leben zum Tode geht wie aus einem Zimmer in ein anderes. Dieser Kaiser der Azteken war ein weiser und kühner Mann, aber er unterlag einer göttlichen Sage. Die Legende berichtet von einem Messias der braunen Völker Mexikos, einem Messias mit weißer Haut. Er war ein guter Gott gewesen, bevor er von einem kriegerischen Gott-Gegner besiegt wurde. Es war Qúetzalcóatl, ein weiser fruchtbarer Gott, der dem Schwert weichen mußte. Mit weißer Haut, mit klaren Augen, mit einer unendlichen Güte war er die Hoffnung aller in Mexiko. Als Cortés mit weißer Haut, aber nicht mit weißer Seele nach Mexiko kam, glaubte der Kaiser und mit ihm das Volk, der weiße Messias wäre gekommen, aber es kam nicht der Friede, es kam die Gewalt ins Land, die der braune Kaiser empfing, als ob sie der ewige Friede wäre. Immer noch wurde die beste Kühnheit besiegt, wenn die Gewalt im Friedenskleide kam. So half Moctezuma dem Cortés zur Herrschaft über das Reich der Azteken, und der Kaiser starb, getroffen zwar von brutaler Hand, aber in Wirklichkeit starb er vor Kummer über den Verrat, den der falsche Messias an ihm beging. Das allerdings war eine Tragödie, und sie zittert immer noch nach in den Mexikanern. Noch heute feiern sie den Kaiser und den Helden Guauhtémoc, der auf ihn folgte und die unlösbare Aufgabe fand, das schon gefallene Reich zu retten. Sie beleben wieder die Geschichte jener Zeit, sei es im Liede zur Gitarre oder sei es durch Festspiele am Fuße der Sonnenpyramide im Göttertal von Teotihuacán. Ich sah ein solches Spiel. Es war die Darstellung eines Gladiatorenkampfes vor dem Kaiser Moctezuma. Ein brauner Siegfried mit Namen Tlahuicole, Heros der kühnsten Feinde der Azteken, wurde gefangengenommen. Nach der Vorschrift entging er nur dann der Menschenopferung, wenn er auf einem runden Stein, den linken Fuß gefesselt, mit dem Obsidianschwert vier Azteken, die frei und ungefesselt gegen ihn kämpften, besiegte. Er besiegte sie alle und entflammte mit seiner Kraft die Tochter des Kaisers Moctezuma. Der Kaiser führte sie ihm selbst zu, als der Heldengladiator den Beweis geliefert hatte, daß er leben durfte.
Also an Kühnheit und Großmut hat es den braunen Völkern vor der spanischen Eroberung nicht gefehlt, aber es fehlte ihnen an Erkenntnis der Falschheit, die in weißer Haut nach Mexiko kam. Moctezuma starb auf einem anderen Glockenhügel als Maximilian. Sein Tod war tragisch, denn es war der Tod einer großen Kultur, die wohl schon im Niedergange war, aber immer noch wertvoller als die Kultur, die Cortés nach Mexiko brachte. ...."
"Wo die Götter wohnten"
"Die Götter der braunen Menschen wohnten überall, und noch heute sind sie nicht verschwunden aus Mexiko. Sie wohnten in den Früchten des Feldes und der Gärten, sie wohnten in den Bäumen und Tieren, in den Sternen und Menschen. Lächelnde Blumengottheiten gab es, Erdgötter, Götter des Krieges und des Friedens: des Feuers, der Winde und des Wassers. Es gab Ober- und Untergötter, und es gab auch schon eine Göttervereinheitlichung bis zur Gottidee. Diese Götter wohnten in den Häusern der Bauern, in den Palästen der Edlen, der Fürsten und ihrer Familien. Aber sie hatten auch in Mexiko, wie überall in der Welt, ihre eigenen Wohnungen, Pyramiden und Tempel, auf Bergen und in Tälern. Es waren milde und grausame Götter, und je grausamer sie waren, desto gewaltiger waren ihre Häuser. Das war nicht nur in Mexiko so: Der furchtbare Gott wohnt wie der furchtbare König in gewaltigen Palästen, Tempeln oder Pyramiden. Die Pracht oder die Massigkeit soll seine Stärke zeigen, und das ungeheure Menschenwerk zu seinen Ehren soll ihn milde stimmen. Auf dem Mittelplatz der heutigen Stadt Mexiko stand zur Zeit des Aztekenreiches die Schlangenpyramide. Die Spanier haben sie gestürzt und eine Kathedrale auf der Stelle errichtet. Aber noch kann man Fundamente dieser Pyramide sehen. Es gibt Rekonstruktionen, die eine ganze Tempelstadt zeigen mit der Pyramide im Zentrum, mit vielen Gängen, Mauern, Untertempeln. Oben auf der Schlangenpyramide wurden Menschenopfer dargebracht. Die Priester öffneten mit dem Steinmesser die Brust des Kriegsgefangenen und rissen ihm das Herz heraus, das der Sonne geweiht wurde. Noch gibt es Opfersteine aus jener Zeit mit den Vertiefungen für das Herzblut.
Die gefangenen Genossen des Cortés mußten diese, Pyramide besteigen, ohne daß die Spanier ihnen helfen konnten. Viele Bücher über diese Tragödie sind geschrieben worden, aber keiner hat den Opfertod in Tenochtitlán so bunt und echt geschildert wie Heinrich Heine.
Aus Heines "Vitzliputzli" steigt die ganze Wunderwelt der Azteken viel klarer, viel farbiger, viel echter und viel hinreißender empor, als aus den meisten der hundertfünfzigtausend übrigen Schriften. In diesem Epos ist Heine auch einer der wenigen Gerechten, die Cortés verdammen und ihn einen Räuber nennen.
Auf dem Haupt trug er den Lorbeer,
Und an seinen Stiefeln glänzten
Goldne Sporen - dennoch' war er
Nicht ein Held und auch kein Ritter.
Nur ein Räuberhauptmann war er,
Der ins Buch des Ruhmes einschrieb,
Mit der eignen frechen Faust,
Seinen frechen Namen: Cortés.
Unter des Columbus Namen
Schrieb er ihn, ja dicht darunter,
Und der Schulbub auf der Schulbank
Lernt auswendig beide Namen.
Nach dem Christoval Columbus
Nennt er jetzt Fernando Cortés
Als den zweiten großen Mann
In dem Pantheon der Neuwelt;
Heldenschicksals letzte Tücke:
Unser Name wird verkoppelt
Mit dem Namen eines Schächers'
In der Menschen Angedenken.
Wär's nicht besser, ganz verhallen
Unbekannt, als mit sich schleppen
Durch die langen Ewigkeiten
Solche Namenskameradschaft?
Keiner hat wie Heine die Opferszene gemalt und die jam-mernden Spanier, die dem Tod ihrer Genossen zusahen.
Auf der Bühne, grellbeleuchtet,
Sahen sie auch ganz genau
Die Gestalten und die Mienen -
Sahn das Messer, sahn das Blut -
Und sie nahmen ab die Helme
Von den Häuptern, knieten nieder,
Stimmten an den Psalm der Toten,
Und sie sangen: ,,De profundis!"
Es war nicht die letzte Rache der Azteken. Die Schlangenpyramide steht noch immer, wenn sie auch zerstört ist, und noch immer drohen die Worte des Gottes:
Mein geliebtes Mexiko,
Nimmermehr kann ich es retten,
Aber rächen will ich furchtbar
Mein geliebtes Mexiko.
Die Großgötter auf dem Hochplateau hatten Wohnungen wie Fanale, Wohnungen, die Riesenburgen waren; damit ihre Gewalt unten begriffen wurde. Wohl ist es richtig, daß die Gesetze des Himmels, der Sonne, des Mondes, der Sterne, die ganze kreisende Mathematik über uns in die Pyramide hineinkonstruiert wurde. Aber diese Pyramiden wuchsen auch mit der Machtvergrößerung der braunen Reiche. Nach einer bestimmten Zeit wurde um die Sonnenpyramide von Teotihuacán eine neue Schale gelegt. Es war sozusagen eine Pyramidenzwiebel, die da entstand nach den Bewegungsgesetzen des Himmels. Aber jede Schale bedeutete auch einen Zuwachs an politischer Gewalt.
Diese Sonnenpyramide, inmitten einer Götterstadt und doch einsam stehend, ist eins der herrlichsten Bauwerke der Welt. Sie ist heute ,,restauriert", aber so, daß ihre Gestalt nicht gelitten hat. Sie ist kompakt, mit einer herrlichen Treppe versehen, oder besser mit einem Treppensystem, das auf der Mexiko-Stadt zugewandten Seite, auf wechselnden Stufen, jetzt als Doppeltreppe, dann als Einweg zur Tempelplatte hinaufführt. Oben wohnte die Gottheit, direkt unter der Sonne dieses wunderbaren Tales, das sich hinausdehnt bis an die blauen Berge. Nicht weit davon, aber kleiner, steht die Schwester der Sonnenpyramide, die Pyramide des Mondes, auch nach der Himmelsgesetzmäßigkeit erbaut, in logischer Verbindung mit der Bruderpyramide. Auf der anderen Seite liegt ein großer Tempelhof von breiten Mauern umgeben, in dessen Mitte auf einer kleineren, aber mit prachtvollen Ornamenten und Köpfen geschmückten Pyramide der gute Gott des Windes, Quetzalcóatl, wohnte. Es gibt dort noch viel Häuser aus alter Zeit, die teils freigelegt sind, teils noch unter Sand, Schutt, unter Gras und Steindecken stehen. Arm sind heute die Menschen des Tales von Teotihuacán, aber wie Märchen sind ihre Häuser aus Vulkangestein und ihre Nopalgärten. Der Nopal ist der Nationalbaum Mexikos. Er ist der Baum des mexikanischen Wappens. Nach der Sage sollten die Azteken dort ihr Reich errichten, wo sie einen Nopal sahen, auf dem ein Adler mit einer Schlange im Schnabel saß. Der Nopal ist ein fruchtbarer Kaktus. Er ist ein Kaktusbaum, viel verzweigt, mit dicken herzförmigen Blättern, auf deren Spitzen die Blüten und die Früchte stehen. Die Nopalfrucht, Tuna, ist eine Volksfrucht, sie ist grün- oder rotsaftig, mit kleinen Stacheln bewehrt, vielkörnig und erfrischend. Im Tale von Teotihuacán gibt es am Fuße der Sonnenpyramide ganze Nopalpflanzungen, und kein schöneres Bild ist denkbar, als das Bild der Pyramide durch einen Nopal gesehen, wenn die Sonne untergeht.
Nur wenige Pyramiden des alten Mexiko sind freigelegt. Überall erzählen die Indios von Tempeln und Pyrarniden, von alten Göttersteinen in den Wäldern, so daß die Archäologen noch eine ungeheure Arbeit vor sich haben...."
Alfons Goldschmidt (1879-1940)
war Schriftsteller, Publizist, Wirtschaftswissenschaftler. In den zwanziger Jahren lehrte er zeitweilig an den Universitäten Cordoba und Mexiko-City. Er entkam 1933 den Nazis ins rettende Exil, widmete von nun an seine ganze Kraft der antifaschistischen Aktion; unschätzbare Dienste leistete er bei der Einwanderung deutscher Antifaschisten nach Mexiko. Mit einem Staatsbegräbnis ehrte die mexikanische Regierung sein Andenken.
,,Goldschmidt liebte Mexiko und sein Volk. In seinen Büchern über Mexiko malt Goldschmidt die Schönheiten des Landes und schildert seine Begegnungen mit dem ,braunen Bauern', dem Indianer... Für Goldschmidt, wie für seinen großen Vorläufer Alexander von Humboldt, war nicht nur der Indio als Individuum von Interesse. Er begnügte sich nicht, seine Armut zu beklagen Den Wissenschaftler und Seher ... beschäftigte das Schicksal der Völker. Er versuchte, die Völker Amerikas und Europas einander näherzubringen. Beide, Humboldt und Goldschmidt, waren Wortführer der besten humanistischen Ideen ihrer Zeit. Sie träumten von einer Zukunft, in der keine Rasse und kein Volk diskriminiert sein wird ...,,
(Ludwig Renn.)
Quelle:
Alfons Goldschmidt"Mexiko"
Mit 14 Zeichnungen von Diego Rivera"Auf den Spuren der Azteken"
Ein mexikanisches ReisebuchHerausgegeben und mit einem Essay ,,Der Weg nach Mexiko" von Wolfgang Kießling
© Verlag Philipp Reclam jun. Leipzig 1985 (für diese Ausgabe)
Die Originalrechte gehören Frau Leni Goldschmidt-KrouI, New York
Text nach: Alfons Goldschmidt, Mexiko, Berlin 1925;
Alfons Goldschmidt, Auf den Spuren der Azteken. Ein mexikanisches Reisebuch, Berlin 1927
Unter Beibehaltung von Eigenheiten des Autors wurden Orthographie und Interpunktion modernisiert
Reclams Universal-Bibliothek Band 1072
1. Auflage
Umschlaggestaltung:
Friederike Pondelik unter Verwendung einer Zeichnung von Diego Rivera
Gesetzt aus Garamond-Antiqua
Printed in the German Democratic Republic
Lizenz Nr.363. 340/38/85 LSV 7102 Vbg. 17,6
Gesamtherstellung:
Grafischer Großbetrieb Völkerfreundschaft Dresden
Bestellnummer: 6612010
00250
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